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Alle sind für den Ball

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Kirsten Fuchs
  • Lesedauer: 3 Min.

Meine Tochter erzählt, dass die anderen in ihrer Kita alle am Vorabend Fußball sehen durften. Alle! »Wirklich alle?«, frage ich. »Alle, sogar der Hausmeister«, sagt sie. Gestern habe nämlich ganz Deutschland gespielt. »Hast du das gewusst, Mama?«

Also darf sie Fußball mit mir sehen, eine Halbzeit. Ich denke sowieso, dass sie schnell das Interesse verlieren wird, aber wie es aussieht, wächst da ein Fußballfan ran oder ein Fernsehfan. Ich werde mal zur Probe eine Kochsendung mit ihr gucken, mal sehen, ob sie da auch so voller Neugierde und Fragen ist.

»Mama, wer sind die Roten?« - »Das sind Belgier.« (Antwort darauf beim Sehen einer Kochsendung: »Das sind die Tomaten.«) - »Und wer sind die Weißen?« - »Die weißen sind Algerier.« - »Wo ist Algerien?« - »In Afrika, Maus.« - »Wow!« ruft sie, einfach weil sie das ohnehin gerne ruft. »Die Weißen sind also aus Afrika.« Erst kommt mir der Satz komisch vor, dann sage ich völlig korrekt: »Kann man so sagen.«

»Und wer sind die Gelben, Mama? - «Die Gelben? Ach, so. Das ist der Schiedsrichter. Das ist nur einer.» - «Muss der alleine spielen? Das ist doch unfair.» - «Ja, irgendwie schon, aber alle müssen auf ihn hören.» - «Dann bin ich für den Gelben. Aus welchem Land ist der?» - «Weiß ich nicht.»

Dann denkt sie etwas. Das kann man immer so schön sehen in ihrem Gesicht. Denkdenk.

«Mama, ich bin für das allerallerallerbeste Team. Wer ist das?» - «Maus, das weiß man erst am Ende von der Weltmeisterschaft.» - «Wer ist der Schwarze?» - «Das ist ein Torwart.» - «Gibt’s nur einen?» - «Nein, zwei.» - «Dann bin ich für die.»

Dann fällt endlich ein Tor. Die Tochter ruft laut «Tooor!» Dann jubiliert sie: «Ich bin doch für die Weißen. Die sind einfach besser, weil ich die anfeuere und dann geht das in das Kabel. Als Strom. Und dann geht mein Anfeuer in den Fernseher und dann habe die mehr Energie.» Sie hoppelt auf dem Sofa auf und ab.

Ich befürchte, dass so ähnlich viele Fußballfans denken.

«Mama, noch ein Tor!» ruft sie. - «Nee, das ist die Wiederholung.» - «Also noch eins. 2:0. UND NOCH EINS! 3:0. Die werden Weltmeister.» Ich komme nicht dazu, ihr zu erklären, was eine Wiederholung ist, es redet ununterbrochen aus dem Fußballfrischling heraus. «Alle sind so froh, wenn jemand gut ein Tor geschossen hat.»

Dann wird gerempelt. Das Kind guckt. Fragt: «Mama, hat der mal schnell Entschuldigung gesagt?» - «Bestimmt!» - «Ein Spieler hat gerade besonders schlimm geguckt.» - «Komm mal her, wir müssen Naseputzen.» - «Nein, lass, die anderen Popel hebe ich mir für heute Nacht auf.» - «Okay.»

Schon ist ihre Fragenoffensive wieder startklar, Viererkette mindestens. «Mama, dürfen auch mal Fußballer ins Tor?» - «Der Torwart ist doch ein Fußballspieler.» - «Mama, ist der Ball mitten in das Publikum rein?» - «Ja, das passiert manchmal. Wenn jemand den Ball fängt, darf der den behalten.» - «Der Torwart auch?» - «Nee, der muss den wieder abgeben. - »Kriegen die jetzt einen neuen Ball? Haben die ganz viele Bälle?« - »Ja, ganz viele.« - »Warum geben die dann nicht alle Bälle rein, dann haben alle einen?« - »Ja, weil...«

»Mama, alle sind für den Ball.« - »Genau!«

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