Neymar und der beste Torwart der Welt

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Lahm, Boateng, Schweinsteiger - gute Leute, keine Frage, aber von Fußball haben sie keine Ahnung. Alle drei werden nach den siegreichen Zitterpartien gegen Algerien und Frankreich mit dem Satz zitiert, Manuel Neuer sei »der beste Torwart der Welt«. Das aber, liebe Sportsfreunde, ist ein gewaltiger Irrtum. Denn »der beste Torwart der Welt« bin zweifellos ich.

Man muss sich das nur mal vorstellen: Da tanzt dieser drahtige Stürmer gleich drei meiner besten Vorderleute aus, schlägt einen akrobatischen Haken und kommt, den Ball eng am Fuß, auf der rechten Außenbahn mit einer Geschwindigkeit auf mich zu, die selbst Arien Robben vor Neid erblassen lassen würde. Es läuft die letzte Spielminute, und meine Mannschaft liegt 1:2 zurück. Ich aber visiere den herannahenden Wirbelwind mit einem zwinkernden Auge, style mir betont gelangweilt die Haare und verkürze dann den Winkel, indem ich dem Einschusswilligen breitbeinig entgegenschlendere. Mit der wuchtigen Eleganz eines Karim Benzema schickt er sich an, den Ball über meinen Kopf hinweg ins obere linke Eck zu befördern. Da schnelle ich wie eine gespannte Feder in die Höhe und lenke ihn mit den Fingerspitzen über die Latte. Sekunden später, in der Nachspielzeit - ich mit nach vorn! -, fällt der Ausgleich. Verlängerung. Am Ende siegen wir 5:2. Welch Triumph!

Man kann Lahm, Boateng und Schweinsteiger bei ihrer Fehleinschätzung zugutehalten, dass sie momentan eben nicht auf der Höhe sind. Auch waren sie nicht dabei, als sich die dramatischen Szenen am Sonntag auf dem zerfurchten Acker in einem Prignitz-Dorf zutrugen, dessen Name mir leider entfallen ist. Okay, und es gab keine Liveübertragung. Auch stand ich nur im Tor, weil sonst keiner wollte. Na ja, und der gegnerische Stürmer war höchstens neun. Aber die Tatsache, dass er sich selbst als den »nächsten Neymar« bezeichnet, rechtfertigt meine Selbsteinschätzung doch wohl allemal - schon weil Manuel Neuer, der vermeintlich beste Torwart der Welt, ja nun nicht beweisen kann, ob auch er gegen Neymar bestehen würde. Meine halbwüchsigen Mitspieler konterten die Protzerei des besagten Dreikäsehochs mit der Androhung von Gewalt: Er, der neue Neymar? Dann müssten sie ihm wohl jetzt einen Lendenwirbel brechen. Auch das wusste ich - Vorbild in Sachen Fair Play - mit einem Handstreich zu verhindern. Oder war es die Faustabwehr?

Joachim Löw sollte mich nachnominieren und ins Tor stellen, falls sein Team das Finale erreicht. Auf den voraussichtlichen Gegner bin ich ja bestens vorbereitet. Jedenfalls kam mir der Landstrich, in dem wir das Wochenende verbrachten, genauso flach vor wie die Niederlande. Und auch für den Fall, dass Argentinien sich durchsetzen sollte, bin ich gewappnet: Die Kinder, mit denen ich unterwegs war, sind allesamt Messis - und was für welche. Unsere Herberge, eine binnen einer Nacht vollständig ins Chaos gestürzte Landscheune, legt davon trauriges Zeugnis ab.

Einziges Argument gegen meinen Einsatz: die Kondition. Nach diesem nervenaufreibenden Ausflug mit der Klasse meines Sohnes - einschließlich schlafloser Nacht - kann ich mich kaum noch auf den wackligen Beinen halten. Gut, dass die Ferien vor der Tür stehen. Und gut, dass die WM bald vorbei ist. Ich freue mich schon auf den Stau, wenn es bald in den Urlaub geht. All die hupenden Menschen werden gekommen sein, allein um mich zu feiern: ein Autokorso für den besten Torwart der Welt.

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