Eine leidende Zunft: Schiedsrichter

Prügelei auf dem Rasen - ein Gurgeldrücker zahlt für seine Missetat 360 Euro Geldbuße

  • Lesedauer: 3 Min.
Der 43-jährige Raed I. soll einen Schiedsrichter gewürgt, geschlagen und getreten haben - deshalb stand er gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten.

Fußballfelder sind Orte nackter Gewalt. Je tiefer die Klasse, umso gefährlicher leben Schiedsrichter - diesen Eindruck hinterließ gestern ein Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten. Auch vor dem Gerichtssaal schaukelten sich Emotionen hoch. Beide Mannschaften trugen ihren schwelenden Konflikt lautstark aus.

Der Fall liegt über zwei Jahre zurück. Am 21. April 2012 trafen sich zwei Berliner A-Jugendmannschaften auf dem Friedrich-Ebert-Sportplatz in Tempelhof. Auf der einen Seite ein türkisch-arabisches Team, als Gegner Schüler mit kroatischen Wurzeln. Das Spiel begann mit einer Panne. Ein Schiedsrichter war nicht auf dem Platz erschienen. So übernahm der Trainer der türkischen Mannschaft den Part des Unparteiischen. Doch nach 20 Minuten gab er entnervt auf. Er hielt das Rumgebrülle der kroatischen Eltern nicht mehr aus und warf die Pfeife auf den Rasen. Nun stieg der Kroaten-Coach in den Ring. Etwa in der 50. Minute, beim Stand von 1:1, gab der neue Schiri für seine Jungs einen Freistoß. Der Ball traf den gegnerischen Spieler am Kopf. In Sekunden wurde aus dem Fußball- ein Schlachtfeld. Der Ex-Schiri stürmte auf den Platz und ging seinem Nachfolger an die Gurgel. Dieser ging zu Boden, acht neun Spieler über ihn. Dann stürmten die türkischen und die kroatischen Eltern das Spielfeld. Das Ganze endete mit einer handfesten Schlägerei und dem Abbruch des Spiels. Der Unparteiische und Trainer der kroatischen Mannschaft wurde verletzt vom Platz getragen. Die Polizei ermittelte seinen Gegenüber als Hauptübeltäter. Hundertprozentig konnte die Prügelattacke jetzt aber nicht mehr nachgewiesen werden. Die Zeugen - Eltern und Spieler - machten zu unterschiedliche Angaben zum nichtfußballerischen Geschehen auf dem Rasen. Und so stellte die Richterin das Verfahren gegen Raed I. gegen Zahlung einer Geldbuße von 360 Euro ein. I. nahm die Entscheidung an.

Die Schiedsrichter in diesem Bereich arbeiten in der Regel ehrenamtlich. Bei den Spielen, die sie pfeifen, sind keine Linienrichter, kein Ordnungsdienst und keine Polizei vor Ort. Es gibt keine Kameras, die das Spiel dokumentieren. Die Schiris müssen viel aushalten. Alle wissen es besser und engagierte Eltern und Fans können schon mal zu wilden Bestien werden. Beleidigungen und Beschimpfungen sind an der Tagesordnung. Rund 70 Spiele müssen in Berlin pro Saison in unteren Spielklassen abgebrochen werden, weil die Männer an der Pfeife beleidigt oder angegriffen werden. Im Oktober 2011 initiierte der Berliner Fußballverband die Aktion »Bedroht-Beschimpft-Geschlagen! Das Spiel fällt aus.« Der Hintergrund: Ein Spieler hatte einen Schiedsrichter bewusstlos geprügelt, weil er eine Entscheidung nicht akzeptieren wollte. Durch den Schlag hatte der Unparteiische seine Zunge verschluckt, wäre fast erstickt und konnte in letzter Sekunde gerettet werden.

Besonders gefährlich wird es für Spielleiter nach groben Fouls und Platzverweisen. Dann ist die Situation kaum noch unter Kontrolle zu halten. Deshalb scheuen sich viele Referees, entschlossen durchzugreifen. In Holland waren 100 Schiedsrichter in den Streik getreten, nachdem einer ihrer Kollegen von einem jungen Amateurspieler zu Tode geprügelt wurde.

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