Die EZB ist mit ihren Instrumenten am Ende

Lisa Paus (Grüne) fordert ein Investitionsprogramm in Europa und Steuern gegen die Vermögenskonzentration

  • Lesedauer: 6 Min.
Lisa Paus sitzt seit 2009 für die Grünen im Bundestag. Sie zählt zum eher linken Flügel der Partei. Über die Wirtschaftskrise und die zukünftige Ausrichtung der Grünen sprach mit Paus nd-Redakteur Aert van Riel.

Sie haben ein Papier mit Cansel Kiziltepe von der SPD und dem LINKE-Politiker Axel Troost über die »Eurokrise« verfasst. Ist die bisherige Krisenpolitik gescheitert?
Ich sehe das so. Ich weiß aber auch, dass diese Politik in Deutschland populär ist. Trotzdem muss man die ökonomischen Realitäten betrachten. Die Europäische Zentralbank ist mit ihren geldpolitischen Instrumenten am Ende. Wir haben eine historisch niedrige Inflationsrate und historisch niedrige Zinsen. Trotzdem wird kaum investiert. Es wäre spätestens jetzt eine Abkehr von der Austeritätspolitik angezeigt. Die Fiskalpolitik müsste ran, ein Investitionsprogramm für eine europäische Energiewende würde z.B. gerade jetzt ökonomisch sehr viel Sinn machen.

Konservative Politiker sehen hingegen ein gutes Zeichen, weil Länder wie Portugal und Irland an die Finanzmärkte zurückgekehrt sind.
Das ist die Folge des engagierten Alleingangs von EZB-Präsident Mario Draghi. Die Geldmärkte wurden mit billigem Geld geflutet, wodurch sich auch etwa Portugal und Irland wieder billig Geld besorgen konnten. Aber es ist eine trügerische Ruhe, weil die Krise nicht überwunden, sondern nur zugedeckt wird. Zudem entsteht durch die niedrigen Zinsen die Gefahr, dass sich Finanzblasen bilden. So wird etwa die Immobilienspekulation zusätzlich angetrieben. Irland hat die Staatsverschuldung in den Griff bekommen, aber die Verschuldung der Banken, Unternehmen und Privathaushalte ist horrend hoch. So war es auch zu Beginn der Krise, in der die private Verschuldung umgeschlagen ist in staatliche Verschuldung.
Warum haben Sie im Bundestag nicht gegen die Sparpolitik in den Krisenländern gestimmt?
Ich war gegen den Fiskalpakt ...

... und haben sich trotzdem bei der Abstimmung enthalten.
Ja. Ich habe über den Fiskalpakt mitverhandelt und dabei mit durchgesetzt, dass sich Deutschland für eine Finanztransaktionssteuer in Europa einsetzt, damit der Finanzmarkt annähernd anfängt, sich adäquat an den Gemeinwohlkosten zu beteiligen. Den Fiskalpakt an sich habe ich abgelehnt. Damit hat man strengere Regeln für EU-Staaten beschlossen, ohne zu klären, wie man diese Regeln überhaupt einhalten kann.

Die Mehrheit von SPD und Grünen war anders als die LINKE für Fiskalpakt und andere Krisenmaßnahmen. Ist das einer der großen Knackpunkte zwischen den Parteien?
In der gemeinsamen Krisenanalyse liegen wir nahe beieinander. Da kann man ansetzen. Ich will nicht wieder eine Situation wie nach den Wahlen 2009 und 2013 erleben, sondern eine Alternative für 2017. Aber in der Außen- und Verteidigungspolitik sehe ich Differenzen, auch in der Finanz- und Gerechtigkeitsfrage. Die Schuldenbremse ist verbesserungswürdig, aber sie steht im Grundgesetz. Ein möglicher Weg, damit umzugehen, wären höhere Steuern. Doch hier liegen die Vorstellungen auseinander. Im Wahlkampf hatte die LINKE Steuermehreinnahmen von 180 Milliarden Euro angepriesen. Wir Grüne wollten Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in einem Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro. Schon dieses Volumen hat zu Kontroversen in meiner Partei geführt, ob das die Grenze zum Kommunizierbaren überschreitet.

Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt will überdenken, ob die Grünen Menschen ab einem Bruttojahreseinkommen von 60 000 Euro zu den Besserverdienenden zählen. Halten Sie das für richtig?
Unsere Pläne sahen vor, dass ein Single auf den 80 001sten Euro 49 Prozent Spitzensteuersatz zahlt. Ab dem 60 001sten Euro waren 45 Prozent vorgesehen, tatsächlich wäre er wegen der Erhöhung des Grundfreibetrags sogar entlastet worden. In der Grünen-Fraktion herrscht Konsens, dass wir am Spitzensteuersatz von 49 Prozent festhalten. Ich stimme meiner Fraktionschefin zu, dass man mit einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro nicht zu den Besserverdienenden zählt, besonders wenn man noch Familie hat. Da ist im Wahlkampf einiges schief gelaufen, unsere Entlastungsbotschaft für kleine und mittlere Einkommen ist überhaupt nicht angekommen.

Göring-Eckardt hat auch in Aussicht gestellt, dass sich die Grünen von der Doppelforderung nach einer höheren Erbschaftsteuer und einer neuen Vermögensteuer verabschieden.
Ich nehme ihren Beitrag als Teil unseres Diskussionsprozesses auf. Die Vermögenskonzentration ist hierzulande dramatisch größer als die Einkommenskonzentration. Wir Grüne sehen ein Gerechtigkeitsproblem, das sich zu einem ökonomischen Problem auswächst. Für die Vermögensteuer, die Vermögensabgabe oder die Erbschaftsteuer gibt es jeweils ein Für und Wider. Ich habe die mündliche Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer erfreut zur Kenntnis genommen. Es wird sicherlich nicht bei der Vollverschonung von Betriebsvermögen bleiben. Ich teile nicht die Auffassung, dass es bei der Erbschaftsteuer kein Mehraufkommen geben kann. Wenn man die Betriebsvermögensregelung ändert, ergibt sich daraus ein sichtbares Mehraufkommen. Allein im letzten Jahr sind 40 Milliarden Euro an Betriebsvermögen vererbt oder verschenkt worden, auf die kaum Steuern angefallen sind.

Einige Grüne wollen die FDP als liberale Partei beerben und stärker auf mittelständische Unternehmen zugehen. Diese hatten Missfallen über grüne Steuerforderungen bekundet.
Eine Diskussion, das Erbe der FDP anzutreten, nutzt nur der FDP, sonst niemandem. Aus Sicht der Wirtschaft geht mehr bei der Einkommensteuer, über die Vermögensteuer hat sie sich aufgeregt. Da wurde bewusst verdreht, weil wir mit einer Vermögensabgabe angetreten waren. Wir sollten gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen und Geld investieren in Energieeffizienzmaßnahmen, in die energetische Gebäudesanierung. Im CDU-Wirtschaftsrat gibt es inzwischen mehr Anhänger von Schwarz-Grün als von Schwarz-Rot. Diese Leute erkennen an, dass es mit den Grünen mehr Dynamik für Zukunftsinvestitionen geben würde. Deswegen muss man nicht Schwarz-Grün machen, aber das zeigt, dass Grüne ein gutes Angebot für Unternehmen haben.

Wenn es sogar Anknüpfungspunkte zum CDU-Wirtschaftsflügel gibt, wo liegen dann noch große Differenzen zwischen Union und Grünen?
Beispielsweise in der Eurokrisenpolitik, zudem schüren Unionspolitiker ausländerfeindliche Themen. Die CSU hält daran fest, dass bei uns arbeitende Rumänen und Bulgaren kein Kindergeld bekommen sollen. Das ist genau so ein Murks wie bei der Pkw-Maut. Auch in Bezug auf die Flüchtlingspolitik gibt es große Unterschiede.

Müssen die Grünen auch über ihre Flüchtlingspolitik reden angesichts der jüngsten Proteste um die von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg?
Da ist vieles unglücklich gelaufen. Aber ich bin froh, dass der Kompromiss geschlossen wurde. Die Grünen und der Bezirk können die Rahmenbedingungen nicht ändern. Es gibt das menschenverachtende Dublin II und einen Innensenator Frank Henkel von der CDU, der Zusagen nicht einhält.

Aber auch Grünen-Bezirkspolitiker Panhoff hat wohl einen Fehler gemacht, als er die Polizei rief?
Ich sehe nicht, warum Hans Panhoff zurücktreten sollte. Ich zolle ihm, Canan Bayram, Christian Ströbele, Monika Herrmann und vielen anderen Respekt dafür, dass eine Lösung gefunden und nicht geräumt wurde. Das war keine einfache Situation und nicht durchgängig unter Kontrolle. Die dagebliebenen Flüchtlinge hatten mit dem Letzten gedroht. Aber Nichtstun war eben auch keine Option.

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