»Beschämt verneigen wir uns«

In Westerland/Sylt soll eine Tafel an die Untaten des Ex-Bürgermeisters Reinefarth erinnern

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 3 Min.
Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand, SS-Kommandeur Heinz Reinefarth war an der blutigen Niederschlagung führend beteiligt. Später saß der Mann unter anderem im Kieler Landtag.

In einer von allen Fraktionen getragenen Resolution hat der Landtag von Schleswig-Holstein des 70. Jahrestages des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 gedacht. Er sprach »den Angehörigen der Opfer der schrecklichen Verbrechen, die dort im deutschen Namen begangen wurden, sein tiefes Mitgefühl« aus.

Es ist ein nicht alltäglicher Vorgang, dass das Parlament eines Bundeslandes derart prononciert zu einem Verbrechen des faschistischen Deutschlands Position bezieht wie in diesem Fall. Zumal sich der Landtag auch noch »ausdrücklich zu seiner Verantwortung gegenüber den Opfern des nationalsozialistischen Unrechts« bekennt und versichert, es »als seine vornehmste historische Pflicht« anzusehen, »das Mögliche zu tun, um seinen Teil der Aufarbeitung dieses Unrechts zu leisten«.

Der Schritt des Parlaments erklärt sich im vierten Absatz der knapp 20 Zeilen langen Resolution: »Der Landtag bedauert zutiefst, dass es nach 1945 in Schleswig-Holstein möglich werden konnte, dass ein Kriegsverbrecher Landtagsabgeordneter wird. Er verurteilt die Gräueltaten, die sein ehemaliges Mitglied, Heinz Reinefarth, insbesondere bei der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstandes begangen hat sowie die sich hieran anschließenden menschenverachtenden Racheaktionen der Nationalsozialisten aufs Schärfste. Der Schleswig-Holsteinische Landtag bittet die Opfer der Untaten um Verzeihung.«

Heinz Reinefarth war, bevor von Dezember 1951 bis 1965 das Amt des Bürgermeisters in Westerland auf Sylt bekleidete und 1958 für den revanchistischen »Block der Heimatvertriebene und Entrechteten« (BHE) in das Landesparlament einzog, SS-Gruppenführer und Führer des SS-Oberstabes Warthegau sowie Kommandeur der »Kampfbrigade Reinefarth«. Diese trug wesentliche Verantwortung für die blutige Niederschlagung des Warschauer Aufstandes. Mehr als 150 000 Frauen, Männer und Kinder waren dabei ermordet worden. Unter Reinefarths direktem Kommando wurden allein am 5. August 1944 im Stadtteil Woja 10 000 Menschen Opfer der Vernichtungsaktion.

In Schleswig-Holstein war die dunkle Vergangenheit Reinefarths lange Jahre mit einem Mantel des Schweigens bedeckt. Die von alten Gefolgsleuten des Faschismus durchsetzte Justiz schlug alle Ermittlungsverfahren nieder, sie verweigerte auch die von Polen beantragte Auslieferung des »Henkers von Warschau«. Nun aber will die Gemeinde Westerland das lange Schweigen brechen und sich zu den Opfer von 1944 und der Vergangenheit ihres Bürgermeisters bekennen. Am 1. August, dem 70. Jahrestag des Beginns des Warschauer Aufstandes, soll d am Inselrathaus eine Tafel mit diesem Text angebracht werden: »Warschau, 1. August 1944 / Polnische Widerstandskämpfer stehen auf gegen die deutsche Besatzungsmacht. Das nationalsozialistische Regime lässt den Aufstand niederschlagen. Mehr als 150 000 Menschen werden ermordet, unzählige Männer, Frauen und Kinder werden geschändet und verletzt. Heinz Reinefarth, von 1951 bis 1963 Bürgermeister von Westerland, war als Kommandeur einer Kampfgruppe mitverantwortlich für dieses Verbrechen. Beschämt verneigen wir uns vor den Opfern und hoffen auf Versöhnung.«

Für Insel-Pastor Christoph Bornemann, einer der Initiatoren diesen Gedenkaktes, der in den letzten Monaten die Gemüter der Gemeinde bewegte, ist ein Signal gegeben. »Auch der Landtag in Kiel sollte den Fall seines ehemaligen Abgeordneten Reinefarth zum Anlass nehmen, die eigene braune Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten«, sagt er. Das will der Landtag bis 2017 erledigt haben.

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