Marcumar oder Pradaxa

Firmeninteressen machen Arzneimitteltherapie für den Patienten unsicher

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Mindestens 700 000 Patienten nehmen in Deutschland laut dem »Ärzteblatt« regelmässig Blutgerinnungshemmer. Diese Medikamente sollen Herzinfarkte, Embolien und Thrombosen verhindern. Die Ärzte verschrieben bisher den meisten Patienten bewährte Präparate wie Marcumar.

In der Regel überwacht der Arzt zudem regelmässig die Wirkung des Medikaments mit Bluttests, um die Dosis im Blut stabil zu halten. Immer mehr Ärzte steigen seit 2011 auf neue Blutgerinnungshemmer wie Pradaxa von Boehringer Ingelheim oder Xarelto von Bayer um. Das Hauptargument der Hersteller für ihre Präparate ist, dass bei diesen keine aufwendigen Bluttests mehr wie bei Marcumar nötig seien. Dafür sind sie teurer: So kostet Marcumar täglich etwa 10 bis 20 Cent. Pradaxa ist bis zu 20 Mal teurer.

Zugleich häufen sich die Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen. In den USA sind laut der Zeitung »Handelsblatt« rund 2500 Klagen hängig wegen schweren Blutungen und Todesfällen im Zusammenhang mit Pradaxa. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zählte von Anfang 2012 bis Mitte März 2014 insgesamt 105 Todesfälle von Menschen, die Pradaxa eingenommen hatten. Laut Sprecher Maik Pommer sei jedoch unklar, ob die Patienten an der Einnahme des Medikaments oder an anderen Ursachen wie ihrer Grunderkrankung starben.

Diese Zahlen überraschen nicht. Eine im Februar in der Fachzeitschrift »Journal of the American College of Cardiology« veröffentlichte Studie des Pradaxa-Herstellers Boehringer Ingelheim zeigt, dass bei bestimmten Pradaxa-Konsumenten Bluttests Schlaganfälle und Blutungen verhindern könnten. Die Konzentration des Pradaxa-Wirkstoffs im Blut kann laut der Studie bis zu fünf Mal höher oder tiefer ausfallen. Eine niedrige Dosis im Blut erhöht die Gefahr von Schlaganfällen oder Embolien, eine hohe Dosis das Risiko schwerer Blutungen.

Vor kurzem veröffentlichte die »New York Times« zudem einen firmeninternen E-Mail-Verkehr von Boehringer Ingelheim in den USA. Daraus ging hervor, dass das Unternehmen die Entwicklung von Bluttests ursprünglich ins Auge gefasst hatte. Später verzichtete Boehringer Ingelheim jedoch darauf, weil die Tests nicht zur geplanten Vermarktungsstrategie des Medikaments passten. Aus dem gleichen Grund erwog die Firma eine Zeit lang, die oben genannte US-Studie nicht zu publizieren.

Wolfgang Becker-Brüser, Arzneimittelexperte und Chefredaktor der Fachzeitschrift »Arznei-Telegramm«, hält es für einen Skandal, wie Firmeninteressen dem Anspruch der Patienten auf eine möglichst sichere Arzneimitteltherapie vorgezogen werden. Er empfiehlt: Ärzte sollten die neuen Präparate nur verschreiben, wenn Patienten die alten nicht vertragen.

Pradaxa-Hersteller Boehringer Ingelheim bestreitet, je »kommerzielle Überlegungen über die Patientensicherheit« gestellt zu haben. Die Firma erklärt, die nun publizierten Daten seien den Zulassungsbehörden bereits bekannt gewesen. Diese hätten Pradaxa ohne Bluttest-Pflicht zugelassen.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht indes keinen Grund zum Handeln: »Für Pradaxa ergibt sich derzeit keine neue Risikolage.« Allerdings müssten die Ärzte unbedingt auf die »bereits beschriebenen Risiken« bei der Verschreibung achten.

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