Das beste Fernsehen aller Zeiten

In Los Angeles wurden die TV-Preise Emmy-Awards verliehen

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen »Tracking Shot« nennt man in der Kinosprache eine Szene, in der die Kamera einem Schauspieler folgt, dessen Bewegungen mit ausführt oder gar die Perspektive der Person einnimmt. Manchmal wird der Begriff mit dem »Long Shot« verwechselt, einer Einstellung, die minutenlang durch keinen Schnitt unterbrochen wird. Am Ende der vierten Episode der neuen Serie »True Detective« vermischt Regisseur Cary Joji Fukunaga diese beiden Techniken: Sechs Minuten klebt die Kamera an Matthew McConaughey. Kein Schnitt unterbricht die Kamerafahrt. Die führt direkt hinein in den Wahnsinn, die Hektik, die Brutalität eines völlig aus dem Ruder gelaufenen Überfalls einer dealenden Biker-Gang auf afroamerikanische Konkurrenten. Die hier gezeigte Perfektion, der erzeugte Nervenkitzel, der Aufwand, das Timing und die Innovation sind sensationell - dennoch reichte selbst diese Klasse noch nicht aus, um Dienstagnacht bei der Verleihung des US-Fernsehpreises Emmy ganz vorne mit dabei zu sein.

Kein Wunder, wenn die Konkurrenten »Breaking Bad«, »Fargo« oder »Boardwalk Empire« heißen. Beau Willimon, Schöpfer der herrlich zynischen (oder einfach nur realistischen) Politserie »House of Cards«, brachte es bei der Gala in Los Angeles auf den Punkt: »Fernsehen ist so gut wie nie zuvor. Schaut euch um, hier hat jeder einen Preis verdient.«

Willimon hat recht. Die Zuschauer erleben momentan die Entstehung des besten Fernsehens aller Zeiten. »Breaking Bad« hat an dieser revolutionären Entwicklung der intelligenten TV-Unterhaltung großen Anteil - schon allein durch den Erfolg der Serie. Der hat viele Nachahmer geschaffen und die Hemmschwelle gegenüber abseitigen Inhalten insgesamt sinken lassen. Insofern ist die Auszeichnung von »Breaking Bad« in der Königskategorie Beste Drama-Serie sicherlich hinnehmbar. Andererseits weist diese Wahl in die Vergangenheit, man könnte sie auch als »Abschiedsgeschenk« werten. Schließlich ist die Serie 2013 ausgelaufen und hat bereits sämtliche möglichen Ehrungen abgeräumt. Und mittlerweile ist da viel Beachtliches nachgewachsen, das es zu würdigen gilt.

Völlig daneben liegt die Television Academy, indem sie erneut dem »Breaking Bad«-Protagonisten Bryan Cranston und seinen Nebendarstellern Aaron Paul und Anna Gunn die Emmys für die besten Darsteller zubilligte. Das ist nicht nur konservativ - es ist ein Affront gegen das Publikum von »True Detective«. Es gibt im TV momentan keinen Darsteller, der sich mit der abgründigen Aura von Matthew McConaughey als dem todessehnsüchtigen, nihilistischen und blasphemischen Philosophen-Bullen Rustin Cohle messen könnte. McConaughey verpasste es durch diese Fehlentscheidung auch, Filmgeschichte zu schreiben: Er hätte der erste Schauspieler sein können, der in einem Jahr Oscar (»Dallas Buyers Club«) und Emmy als bester Hauptdarsteller gewinnt. Wenn das im Moment ein Schauspieler verdient hätte, dann er. Immerhin die beste Regie, das beste Casting und die beste Kamera mochte die Television Academy bei »True Detective« entdecken.

Da der nur achtteilige »True Detective« in der Sparte »Drama-Serie« angetreten war, konnte durch den Emmy für die beste Miniserie eine weitere faszinierende Produktion in den Fokus rücken: »Fargo«, das nur entfernt mit der gleichnamigen Thriller-Groteske der Coen-Brüder von 1996 zusammenhängt. Billy Bob Thornton und Martin Freeman als Hauptdarsteller, die Coen-Brüder als Produzenten und Noah Hawley als Autor zeichnen das unheimliche und skurrile Sittengemälde einer Kleinstadt, in der »das Böse« noch hinter der gelacktesten Fassade lauert. Wie bei »True Detective« war auch bei »Fargo« zweifellos David Lynchs bahnbrechende TV-Produktion »Twin Peaks« wichtige Inspirationsquelle.

Martin Freeman ist der gemeinsame Nenner von »Fargo« und »Sherlock«. In der aufgepeppten, modernen Version der klassischen Detektivgeschichte gibt Freeman den Watson an der Seite des famosen Benedict Cumberbatch - für Haupt- und Nebenrolle gab es den Emmy.

Das Drama »The Good Wife« führte lange ein unverdientes Schattendasein. Aber ist das Grund genug, Julianna Margulies den Emmy als beste Drama-Hauptdarstellerin zu überreichen - wenn ihn doch Robin Wright (»House of Cards«) oder Lizzy Caplan (»Masters of Sex«) verdient gehabt hätten? Und gibt es bei den Comedy-Formaten eigentlich gar keine Entwicklung? Zum sage und schreibe fünften Mal hintereinander wurde in dieser Kategorie die Patchwork-Komödie »Modern Family« ausgezeichnet. Und in der Kategorie beste Hauptdarstellerin in einer Comedy? Hier erhielt Julia Louis-Dreyfus (»Veep«) den Preis zum dritten Mal in Folge.

Ein weiterer Preis wies an diesem Abend in die Vergangenheit. Denn der vortreffliche Satiriker Steven Colbert wird nach neun furiosen Jahren die Rolle des eitlen und rechtskonservativen Politkommentators abstreifen und als »normaler« Talkmaster David Lettermans »Late Show« übernehmen. Das ist so schade, dass man Colbert seine in den Jahren gesammelten Emmys eigentlich hätte wegnehmen sollen, anstatt ihm nun noch einmal sechs der Preise zu überreichen.

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