»Ein breites Spektrum«

Götz Nordbruch über die salafistische Bewegung in Deutschland

  • Lesedauer: 4 Min.
Der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch promovierte an der Berliner Humboldt-Uni und forschte als Assistenzprofessor an der Universität von Süddänemark. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung. Nordbruch gehört zu den Gründern des Vereins ufuq, der sich mit islamischer Jugendkultur in Deutschland beschäftigt. Mit dem Wissenschaftler sprach nd-Redakteur Fabian Lambeck über das Phänomen Salafismus.

nd: Deutschland diskutiert über die Salafisten, als wenn es sich hier um eine homogene Bewegung handeln würde. Doch gibt es den Salafisten überhaupt?
Nordbruch: Es handelt sich um ein breites Spektrum, das sich in den letzten Jahren gebildet und intern ausdifferenziert hat. Da existieren verschiedene Strömungen, die auch von der gesellschaftlichen Bedeutung sehr unterschiedlich sind. Es gibt Gruppen, die die eine rückwärts gewandte Vorstellung des Islams für sich persönlich leben und gar nicht den Drang haben, andere zu missionieren. Das ist ein kleinerer Teil. Es gibt aber auch andere, die sehr politisch sind und die das sehr offensiv nach draußen tragen, die eben auch in Fußgängerzonen oder im Internet werben. Das ist der größere Teil.

Also jene gewaltbereiten Salafisten, vor denen die Sicherheitsbehörden warnen?
Sie sind nicht unbedingt gewaltbereit. Zwar hängen sie einer problematischen, freiheitsfeindlichen Ideologie an, aber nur wenige von ihnen sind Dschihadisten, die zum Teil auch bereit wären, nach Syrien oder in den Irak zu gehen.

Wie groß ist diese Gruppe?
Bei den Dschihadisten handelt es sich um einige hundert Personen in Deutschland. Die sind tatsächlich auch gefährlich, weil sie extrem gewaltbereit sind. Sie sind aber eine Minderheit unter den Salafisten. Wenn man ihre Zahl in Bezug setzt zu den geschätzten vier Millionen Muslimen in Deutschland, wird klar, wie klein die Gruppe ist. Und wie wenig es mit »dem« Islam zu tun hat.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach fordert die beschleunigte Ausweisung dieser radikalen Salafisten.
So einfach ist es nicht. Es gibt viele herkunftsdeutsche Jugendliche, die sich diesem Spektrum zugehörig fühlen. Das andere Problem an dieser Forderung nach Ausweisung ist, dass auch viele der muslimisch sozialisierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

Was macht die salafistische Bewegung so attraktiv für Jugendliche?
Man ist dort Teil einer Avantgarde und hat extrem starke emotionale Bindungen an die Glaubensbrüder und die Glaubensschwestern. Es werden tatsächlich fast familiäre Bande geknüpft, die dann auch einen Familienersatz darstellen können. Das ist ein Aspekt. Der andere ist, dass dort ganz klare Regeln vorgegeben werden. Die Botschaft in den Werbevideos der salafistischen Strömungen ist verlockend simpel: Alle Fragen, Zwiespälte und Konflikte lösen sich auf, weil Gott alles vorgegeben hat. Zudem verbreiten sie eine sehr rigide Vorstellung von gut und böse, von moralisch und unmoralisch, richtig und falsch. Das heißt für Jugendliche, die Krisen durchmachen, im Elternhaus oder in ihrer Beziehung Probleme haben, dass man hier Halt findet. Das ist gerade in so einer Lebensphase zwischen 16 und 25 für nicht wenige sehr attraktiv.

Es scheinen dieselben Beweggründe zu sein, die junge Leute zu Neonazis werden lassen.
Da gibt es sicher Parallelen zwischen diesen Ideologien, die so ein Gemeinschaftsgefühl und ein Avantgardebewusstsein heraufbeschwören und die Orientierung und Halt geben. Der religiöse Faktor ist ein wichtiger Faktor, ohne Zweifel, aber eben nur ein Faktor, der die Attraktivität dieser Strömung ausmacht.

Für Neonazis wurden diverse Aussteigerprogramme aufgelegt. Gibt es solche Ansätze auch für Salafisten, die der Bewegung den Rücken kehren wollen?
Es gibt im Moment keine vergleichbaren Aussteigerprogramme, die tatsächlich schon funktionieren. Was es aber gibt, sind Beratungsstellen für Angehörige, die vereinzelt auch mit Aussteigern arbeiten. Aber die Zahl der Aussteiger ist bisher sehr gering. In den Beratungsstellen geht es vor allem darum, Eltern oder Geschwister in die Lage zu versetzen, den Kontakt zu den Jugendlichen aufrecht zu erhalten, sozusagen ein soziales Netz um sie aufzubauen oder zu stabilisieren, damit ein Kontakt zur Umwelt bestehen bleibt. Allerdings haben manche Beratungsstellen einen Schwachpunkt: Sie sind oft mehr oder weniger direkt an Sicherheitsbehörden angebunden. Deshalb sind die Hürden auch höher, sich an diese Stellen zu wenden.

Viele Eltern scheuen den Kontakt, weil sie fürchten, ihr Kind an Polizei oder Verfassungsschutz quasi zu verraten?
In Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen wird versucht, zivilgesellschaftliche Akteure und muslimische Einrichtungen einzubinden in die Beratungsarbeit. Es erhöht natürlich das Vertrauen, wenn dort nicht jemand von der Polizei oder vom Verfassungsschutz als Gegenüber sitzt, sondern Leute, die neutral sind.

Aber tappen Sozialarbeiter hier nicht im Dunkeln? Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer kritisiert, dass es in Deutschland kaum Studien zum Salafismus gebe.
Es gib Forschungsprojekte. Allerdings dauert es eine Weile, bis deren Ergebnisse publiziert sind. Ich denke, dass Herr Kiefer Recht hat, was die Präventionsarbeit angeht. Da gibt es einfach zu wenig Forschung. Etwa wie Präventionsarbeit in dem Bereich funktionieren könnte. Da setzen wir, so lange es diese Forschungen nicht gibt, auch auf die Erfahrungen aus dem Bereich Rechtsextremismus, weil sich da einiges übertragen lässt. Man muss das Rad nicht vollständig neu erfinden.

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