Dolmetscher und Mittler in Notlagen

  • Antje Lauschner
  • Lesedauer: 3 Min.
Schulprobleme, Krankheit, Aufenthaltspapiere: Migranten können sich in Ämtern oft schwer verständlich machen. Landsleute helfen als Dolmetscher - auch in Thüringen.

Der Dolmetscherin Fatiha Chorfa ist die Freude über ihre Hilfe noch heute anzusehen. »Meine Übersetzung in einem Gefängnis half, dass ein Asylbewerber ein vernünftiges Verfahren bekommen hat und nicht nach Italien abgeschoben wurde«, sagt die Algerierin, die seit 2012 als eine von derzeit 19 Frauen und Männern vom Thüringer Vermittlungsservice für Sprach- und Integrationsmittler (SprInt) zumeist Landsleuten bei Problemen hilft. Der Mann sollte abgeschoben werden und hatte deshalb versucht, sich das Leben zu nehmen. »Er hat Münzen verschluckt«, erinnert sich Chorfa.

Seit April 2012 waren die Dolmetscher in Thüringen über tausendmal im Einsatz - bei Ausländerbehörden, Sozialämtern, in Krankenhäusern, Schulen, Frauenhäusern und eben auch im Gefängnis, erzählt die Leiterin des Vermittlungsservices, Josina Monteiro, in Erfurt. »Unsere Dolmetscher verstehen sich als Mittler zwischen Menschen und Kulturen«, sagt die Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin. Emotionen erhielten schnell eine eigene Dynamik. »Es geht auch um Tabus, Scham und Ängste«, ergänzt Fabian Junge von der bundesweiten Servicestelle Sprach- und Integrationsmittlung der Diakonie in Wuppertal, zu deren Netzwerk Erfurt gehört. Es gehe zuerst darum, Vertrauen zu schaffen. Die Dolmetscher müssten deshalb gute Deutschkenntnisse und soziale Erfahrungen haben, aber auch in beiden Ländern gelebt haben, um die jeweils andere Mentalität und Normen zu kennen.

Begonnen habe alles 2009. 32 Organisationen in elf Bundesländern gehörten derzeit zu dem Netzwerk. Acht Vermittlungsstellen arbeiteten bereits oder seien in der Erprobung, neben Erfurt in Wuppertal, Leipzig, Aachen, Rostock, Essen Potsdam und Berlin. Die Erfurter Dolmetscher beherrschen zusammen 24 Sprachen und Dialekte. Dazu zählen etwa auch Albanisch, Aschanti, Dari, Kikongo, Paschtu, Persisch, Farsi und Yoruba. »Die afrikanischen Dialekte machen uns die größten Sorgen«, sagt Monteiro, deren Vater einst als DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik nach Thüringen kam. Schwierig sei auch, Dolmetscher etwa für muslimische Frauen aus Tschetschenien zu finden. Sie verstünden zwar Russisch, wollten es aber nicht sprechen. »Tschetschenisch habe ich aber nicht im Pool.« Insgesamt 109 Sprach- und Integrationsmittler sind bisher laut Junge, der selbst Englisch und Indonesisch spricht, ausgebildet worden. Um seine Dienstleistung professionell und bundesweit anbieten zu können, hat das Netzwerk sich mit der Universität Mainz-Germersheim für den zertifizierten Sprachabschluss, mit der Alice Salomon Fachhochschule Berlin für Sozial- und Bildungswesen sowie dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf für den Bereich Gesundheitswesen profunde Partner gesucht.

Fatiha Chorfa ist stolz, dass sie diese Ausbildung geschafft hat. Mit 17 Jahren sei sie aus Algerien nach Deutschland gekommen und habe selbst gespürt, wie schwer es bei Behörden sei, wenn man kein Deutsch könne. »Man kommt sich wie ein kleines Kind vor.«

»Wir bieten Qualität und die muss auch bezahlt werden«, meint Junge. In Thüringen betragen die Kosten 25 Euro pro Stunde plus Fahrtkosten. Das Netzwerk muss sich für 2015 erneut nach Geldgebern umsehen. Das Drei-Jahres-Projekt läuft Ende 2014 aus. Derzeit wird es unter anderem aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert. dpa/nd

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