Vom demokratischen Sozialisten zum Bombardierungsberater

Eine Würdigung des Philosophen Jürgen Habermas

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Zeit seiner Karriere hat sich Jürgen Habermas als Wissenschaftler, aber auch als politischer Intellektueller einen enormen Ruf erworben. Ein ganzes Dutzend Bände in der Reihe des Suhrkamp-Verlags »Kleine politische Schriften« aus den Jahren zwischen 1969 und 2013 zeugen von seinem nimmermüden Engagement, sich in alle möglichen Angelegenheiten einzumischen – um sie auf seine Weise zu politisieren – wie man überhaupt erst in den 1960er Jahren zu denken und zu sagen lernte.

Der Aufstieg des »dialektischen Herrn H.« vollzog sich in den 1960er Jahren gegen den Willen von Max Horkheimer und mit Unterstützung des sozialistischen Partisanenprofessors Wolfgang Abendroth und das parallel zu der Unruhe der Studenten. Stellt man ihn für diese Dekade allerdings an die Seite von Adorno, so ist der auf dem Eintrag von Wikipedia unter dem Foto aus dem Jahre 1964 gegebene Hinweis »hinten rechts: Habermas« zutreffend.

Der noch als Schüler durch den Faschismus und den daraus resultierenden Trümmerlandschaften geprägte Habermas sozialisierte sich wesentlich in der Anti-Atomtod-Bewegung des Jahres 1958 und reflektierte niemals, weder wissenschaftlich noch politisch, auf das »ganz andere« wie der große Meister selbst. Habermas, das ist in der politischen Grammatik ganz die alte Bundesrepublik und von hier aus machte er sich stets und zuweilen auch verbal vehement für einen fast ums Ganze erheblich besser sozialstaatlich fundierten demokratischen Rechtsstaat stark. Die Studentenbewegung hat er intellektuell angeregt, und sich zunächst an ihr außerordentlich interessiert gezeigt, dann aber der Revolte eine unmissverständliche Absage erteilt.

Die zu früh verstorbene Adorno-Schülerin Heide Berndt hat einmal mit Blick auf das Verhältnis der 68er-Generation zu Habermas vermerkt, das dieser nicht dazu bereit war »den Rahmen der bürokratischen Institutionen der bestehenden Gesellschaft« zu überschreiten und von daher habe er »auch niemals das ›antiinstitutionelle‹ Ressentiment der 68er teilen« können: Kurz: »Das Anti-Autoritäre war ihm zutiefst fremd.«

Seinen gegen Rudi Dutschke im Juni 1967 nach der Hinrichtung von Benno Ohnesorg hingeschleuderten Linksfaschismusvorwurf hat er gut begründet zurückgenommen. Trotzdem hat Habermas damit ein Stichwort in die Welt gesetzt, mit der Dekaden später Antideutsche ihr Unwesen auch gegen Autonome begründen konnten. In einem Referat von Anfang Juni 1968 in der Frankfurter Universität unterstellte Habermas den Protestpraktiken der Studentenbewegung »eine so gravierende Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit« die, so zeigte er sich überzeugt, »im klinischen Bereich den Tatbestand der Wahnvorstellung« erfülle, erklärbar nur aus einer infantilen Pathologie.

Es war kein geringerer als der transzendentale Obdachlose Hans-Jürgen Krahl,der diesen schwerwiegenden Vorwurf in direkter mündlicher Gegenrede replizierte und den als »flügellahme Eule der Minerva« hoppgenommenen argumentativ auspunktete: »Blind gegen jede geschichtliche Erfahrung begeht Habermas ein entscheidendes analytisches quid pro quo. Nicht der SDS verwechselt Wunsch und Wirklichkeit, sondern der Staat hat erwiesenermaßen auf den Protest unbewaffneter Gruppen mit dem Einsatz einer Gewaltmaschine geantwortet, als handele sich um den faktischen Kampf um die Macht im Staat. Die Pathologie des Staates zwingt diesen einen vorbeugenden Machtkampf zu führen, Individuen, Gruppen und Klassen an der autonomen Wahrnehmung ihrer Interessen zu hindern und die Ansätze zur Organisierung der Opposition außerhalb der bestehenden Institutionen zu zerschlagen.«

Während die Studentenbewegung genauso wie der Linksradikalismus in allen seinen Formationen am Ende der 1970er-Jahre-Dekade zerfiel, galt das für Habermas nicht und so setzte er sein Engagement unermüdlich fort. Zu seinen wirklich politisch großen Leistungen ist das Anzetteln des Historikerstreits im Jahre 1986 zu zählen. Die Singularitätsthese hat sich neben der Anti-Totalitarismus-Erzählung zwischenzeitlich zur zweiten Staatsdoktrin der Bundesrepublik gemausert. Jeder, der es heute im Staatsapparat zu etwas bringen will, muss sich dazu fähig zeigen, sie nachzuplappern. Auch wenn sie so natürlich vielfältig bestreitbar ist, so besteht der Vorzug ihrer durch Habermas argumentativ begründeten Präsenz doch darin, dass sie mit der Anti-Totalitarismus-Matrix einfach nicht zusammenpasst – und das eröffnet für die eigene intellektuelle Existenz immer ein paar schöne Spielräume.

Stefan Müller-Doohm hat nun in enger Zusammenarbeit mit Habermas zu dessen 85. Geburtstag eine dicke Biografie vorgelegt. An ihr wurde in einer Rezension nicht unzutreffend das »präsidiale Format« gerühmt. Das muss an dieser Stelle natürlich dem Spott verfallen aber ein anderer Rezensent hat schon ein paar erheblich spannendere Hinweise zu dem Subjekt der Begierde zum Besten gegeben. Gleichwohl ist das von der DFG geförderte Werk für einen ersten Überblick über die immense Lebensleistung von Habermas gut brauchbar. Dort erfährt man auch etwas über dessen Rolle bei der Unterstützung des Kosovokrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Frühjahr 1999. Seine Laudatio zur Unterstützung des NATO-Angriffskrieges hatte Habermas »Bestialität und Humanität« überschrieben.

Humanität hin oder her, in Bezug auf die damalige rot-grüne Bundesregierung war diese Position von Habermas nur mit dem Begriff der Servilität zu qualifizieren. Die besagte Biografie legt nahe, dass diese ganz sicher auch darauf zurückzuführen war, »dass sich insbesondere (Außenminister) Fischer und Habermas seit Langem kennen und nahestehen.« Wohl wahr: Wer sich so alles kennt, und überhaupt ist es niemals gut, wenn man sich die falschen Freunde fürs Leben aussucht. Dass sich Habermas dann den brüllenden Gegenargumenten zu seiner Position nicht verschließen mochte und Mitte Mai 1999 allen Ernstes »die Forderung der Partei der Grünen nach einer bedingten Feuerpause für vernünftig« erklärte, machte die Sache eigentlich nur noch schlimmer: Der Staatsphilosoph entfaltete sich so zu einem ordinären Bombardierungsberater des Schröder-Fischer-Regimes. Sollte es jemals eine dunkle Stunde in der politischen Existenz von Jürgen Habermas gegeben haben, dann schlug sie ihm in diesem Moment.

Gleichwohl: In einem Land, in der die Linke seit Bismarck in unterschiedlicher Weise exterritorialisiert ist, ist der viele Dekaden als demokratischer Sozialist mit offenem Visier wirkende Habermas wahrlich nicht der schlechteste Ausdruck der alten Bundesrepublik. Wer sich wirklich mit ihm auseinandersetzt, wird dadurch niemals dümmer. Wenigstens das bleibt. In diesem Sinne: Nachträglich noch alles Gute, Glück und Frieden zum Geburtstag, Onkel Jürgen.

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