Werbung

»Den Stress tue ich mir nicht an«

Vielerorts in Deutschland fehlen Schulleiter

  • Christine Cornelius, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer wird neuer Schulleiter? Wenn der oder die alte geht und ein Nachfolger gesucht wird, stehen viele Schulen vor einem großen Problem. Denn der Posten scheint längst nicht mehr so attraktiv zu sein wie noch vor einigen Jahrzehnten. »Vor 30, 40 Jahren standen Schulleiter Schlange, um das Amt zu bekommen. Heute ist man froh, wenn sich überhaupt jemand meldet«, sagt Michael Gomolzig, Rektor der Grund- und Hauptschule Geradstetten in Baden-Württemberg. »Die Schulleitungen werden besetzt, wenn jemand nur «hier» schreit.«

Das habe vielfältige Gründe. Zum Beispiel würden die Aufgaben eines Rektors immer komplexer - und das Ansehen der Berufsgruppe sei stark gesunken, erläutert Gomolzig, der auch Sprecher des Verbandes Bildung und Erziehung Baden-Württemberg ist. »Früher war es eine Auszeichnung, heute reibt sich der Schulleiter im Amt auf.« Die Zeiten, in denen ein Rektor per se eine Respektsperson war, seien lange vorbei. »Manche lassen ihm einfach keine Chance.«

Auch für die Lehrergewerkschaft GEW mit Sitz in Frankfurt am Main ist die Neubesetzung von Schulleiterposten ein großes Thema. Besonders an Grundschulen im ländlichen Raum gebe es Probleme, betont Gewerkschafterin Ilka Hoffmann. »Da gibt es oft nur eine Bewerbung und wenn die schlecht ist, muss man sie trotzdem nehmen.« Zu kämpfen hätten vor allem Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland. »Die Posten bleiben zum Teil eine Zeit lang unbesetzt.«

Bei der Kultusministerkonferenz ist das Problem Schulleitermangel zwar bekannt. Es sei jedoch nicht koordinierbar, da die Anforderungen je nach Bundesland variierten, sagt ein Sprecher. Wie Weiterbildungen von Rektoren aussehen könnten, sei aber Thema in den Gremien.

Beispiel Baden-Württemberg: Hier sei es vor allem auf dem Land von jeher schwierig, Rektorenposten zu besetzen, sagt eine Sprecherin des Kultusministeriums. Es könne aber nur Schulleiter werden, wer bestimmte Kriterien erfülle. »Die Schulleitung muss geeignet sein, sonst bekommt sie den Posten nicht.« Es fühle sich auch nicht jeder Lehrer zu Führungsaufgaben berufen.

Gomolzig kennt die Anforderungen an Rektoren aus jahrelanger eigener Erfahrung. Die Amtsinhaber stünden im Spannungsfeld von Lehrern, Schülern, Eltern, der Schulaufsicht und den Kommunen. Sie müssten für alle Gruppen ein offenes Ohr haben, Verwaltungsaufgaben erledigen, unterrichten - und vor allem Schulentwicklung betreiben. »Da kommt schnell viel Zeit zusammen«, betont er. Viele sagten sich da: »Für das Geld tue ich mir den Stress nicht an.«

Denn auch finanziell lohnt sich das Amt aus Sicht der Gewerkschaften für viele nicht. »Schulleiter verdienen nicht automatisch mehr«, sagt Hoffmann von der GEW. Zum Teil müssten Lehrer, die zu Schulleitern aufstiegen, bis zu drei Jahre auf mehr Geld warten.

Der langjährige frühere Schulleiter Ulrich Knoll aus dem bayerischen Erlangen hat die Erlebnisse eines Rektors in dem Buch »Schuljahr« aufgeschrieben, das jetzt erschien. In ironisch-überspitzer Form schildert er den Alltag eines Schulleiters und dessen täglichen Kampf mit Verwaltungsaufgaben und überfürsorglichen Eltern. »Diese Konflikte auszuhalten, sie einzudämmen und sie - falls möglich - niederlagenfrei zu lösen, dafür wurden Schulleiter auch bezahlt«, schreibt er. Aber genau deswegen wollten immer weniger qualifizierte Kollegen die Aufgabe übernehmen. dpa/nd

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal