Putschisten und Protegés

Daniel Stahl berichtet über die Dienste der Altnazis in Südamerika

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ist Südamerika das Naziparadies schlechthin. Statt unter Eichen folterten Hitlers Menschenverächter nun unter Palmen. Ob gegen den Kampf gegen Andersdenkende, Regimekritiker oder die »Dritte Kolonne Moskaus«, Expertisen von Naziagenten waren ein florierender Exportschlager.

»Ich Klaus Altmann Hansen, verpflichte mich zum unbedingtem Dienst in der Nachrichtenabteilung des bolivianischen Heeres. Ebenso verpflichte ich mich, an Planungen und Operationen des bolivianischen Heeres teilzunehmen, wenn dieses von mir verlangt wird.« Daniel Stahl, Historiker an der Universität Jena, dokumentiert den Treuevertrag von Klaus Barbie. Bevor der brutale Gestapomann, bekannt als »Schlächter von Lyon«, 1980 in Bolivien beim Kokaingeneral und Kommunistenhasser Luis García Meza anheuerte, hatte der unter falschem Namen über die »Rattenlinie« nach Südamerika geflüchtete Kriegsverbrecher anderen Putschpräsidenten in La Paz bereits versiert unter die Arme gegriffen. Mit Terror, Angst und Schrecken sollten Oppositionelle, Gewerkschafter und Priester im Andenland in Schach gehalten werden. Allein die offen anti-kommunistische Diktatur von General Hugo Banzer ließ Tausende »subversive Elemente« verschwinden.

Auf der anderen Seite des Atlantiks hatten Nazischergen wenig zu befürchten, ob Franz Stangl, Kommandant der Vernichtungslager Treblinka und Sobibór, KZ-Arzt Josef Mengele oder der Holocaust-Chef-Organisator Adolf Eichmann. Straffreiheit von Naziverbrechern wie im Fall des von französischen Richtern in Abwesenheit zum Tode verurteilten Barbie blieben skandalöse Normalität. Mit offenen Armen empfingen Südamerikas Diktatoren die im befreiten Europa freigewordenen Fachkräfte des Hitlerregimes. Die in der Aufstandsbekämpfung und Geheimdienstarbeit praxiserprobten Deutschen wie auch Kroaten, Litauer und Belgier fanden neue Dienstherren in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Chile.

Der Karriere des SS-Mörders Barbie tat das Ende Nazi-Deutschlands keinen Abbruch. Der Spezialist für Folterhorror stand ebenso auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes CIC. Und auch der Bundesnachrichtendienst wollte auf die Lageanalysen Barbies aus Südamerika nicht verzichten. Für die BND-Scheinfirma Merex AG des SS-Ritterkreuz-Trägers Gerhard Mertens verscheuerte das NSDAP-Mitglied Nummer 4.583.085 fleißig ausgemustertes Kriegsmaterial. Und er verdiente auch am Kokaingeschäft. Erst ein Linksruck 1982 im Andenland setzte seiner Glücksträhne ein abruptes Ende. 10 000 US-Dollar Schulden brachten den »Sicherheitsberater« hinter Gitter. Nach Entzug der bolivianischen Staatsbürgerschaft folgte wegen Bildung paramilitärischer Einheiten die Auslieferung. Als »nicht registrierter Ausländer« wurde Barbie Frankreich übergeben. Erst 42 Jahre nach Kriegsende wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.

An den widrigen, Nazis begünstigenden Zuständen bissen sich Nazijäger wie Serge und Beate Klarsfeld oder Simon Wiesenthal fast die Zähne aus. NS-Kameraden im Adenauer-Staat, darunter im Auswärtigen Amt, sabotierten die Strafverfolgung. Also nicht nur Putschisten waren Protegés. Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort suchte Stahl in Archiven und Zeitungen. Er nimmt den Leser mit auf eine kafkaeske Reise in den Dschungel geheimdienstlicher, innen- und außenpolitischen Verstrickungen und Verwicklungen. Selbst der chilenische Sozialist Salvador Allende wollte und konnte sich im eigenen Überlebenskampf nicht mit konservativen Richtern und Behördenapparat anlegen, um ein Auslieferungsgesuch für Walter Rauff, den Ingenieur der mobilen Gaskammern, zu beschleunigen. Das Oberste Gericht in Santiago de Chile lehnte dieses ab. Sein übriges tat die verbreitete Behauptung, die Anklage auf Kriegsverbrechen sei »Siegerjustiz«. Unterbelichtet bleibt im Buch die Doktrin der »nationalen Sicherheit«, die bei einer Verfolgung der Täter gefährdet wäre. Zu recht wirft Stahl die Frage auf, ob die deutschen Nazis nicht mitverantwortlich für die Brutalität der rechten Regime in Südamerika war.

Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen. Wallstein Verlag, Göttingen. 432 S., geb., 34,90 €.

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