Unabhängiges Schottland soll atomwaffenfrei werden

Ministerpräsident Alec Salmond fordert Abzug der mit Atomraketen ausgerüsteten britischen U-Boot-Flotte / Umfrage sieht Unabhängigkeitsgegner wieder knapp vorn

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Vier mit Atomraketen bestückte U-Boote sind im Westen Schottlands stationiert. Bei einem Votum für die Unabhängigkeit sollen sie bis 2020 abgezogen werden - bis jetzt gibt es keinen anderen geeigneten Hafen.

Edinburgh. Ein Ausscheiden Schottlands aus dem Vereinigten Königreich würde für Großbritannien weit mehr als den Verlust von einem Drittel seiner Landmasse bedeuten. Der schottische Regierungschef Alex Salmond will seine Landsleute auch mit der Aussicht auf ein atomwaffenfreies Schottland von seinem Unabhängigkeitsplan überzeugen. Der von Salmond geforderte Abzug der mit Atomraketen ausgerüsteten britischen U-Boot-Flotte aus Schottland stellt daher nicht weniger als Großbritanniens Weltmachtstatus in Frage.

Insgesamt vier mit Trident-Atomraketen bestückte U-Boote hat die britische Marine im Westen Schottlands stationiert. Die Marinebasis Faslane liegt in einem Fjord inmitten einer spektakulären Berglandschaft. Im nahegelegenen Coulport werden die Atomsprengköpfe auf die Raketen montiert. Dass zu jeder Zeit mindestens ein britisches Atomraketen-U-Boot einsatzbereit in den Weltmeeren patrouilliert, gehört zu den Grundpfeilern der britischen Angriffs- und Verteidigungsbereitschaft.

Zugleich rechtfertigen die seit den Zeiten des Kalten Krieges von den USA gelieferten Atomraketen den weltweiten Einfluss Londons lange nach dem Ende seines Kolonialreichs. Großbritannien wie auch die Atommacht Frankreich gehören zu den fünf mit Vetorechten ausgestatteten ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats. Viele Länder mit deutlich größerer Bevölkerung oder ähnlich großer Wirtschaftskraft wie Großbritannien können von so viel Macht nur träumen. Auch in der Nato kommt Großbritannien durch die Atomwaffen eine große strategische Bedeutung zu.

Wenn Schottland aber beim Referendum am kommenden Donnerstag dem Königreich den Rücken zukehren sollte, will Salmond die bei den Schotten wenig beliebten Atomwaffen bis zum Jahr 2020 aus dem Land haben. Malcolm Chalmers von der britischen Forschungseinrichtung Royal United Services Institute (Rusi) schätzt, dass ein Umzug der aufwendig geschützten Flotenbasis eher zum Jahr 2028 machbar wäre. Vorausgesetzt, London fände einen neuen geeigneten Hafen und wollte die nötigen finanziellen Mittel stemmen.

Die britische Regierung hat nach eigenen Angaben keine Umzugspläne in der Schublade. Die Kosten für ein solches Unterfangen werden auf bis zu zehn Milliarden Euro geschätzt, das entspricht rund einem Drittel des gesamten jährlichen Militärbudgets. Allerdings verknüpft sich mit der Entscheidung für einen Umzug eine weitere Frage. Die Trident-Flotte ist veraltet. Im Jahr 2016 will London über die Anschaffung neuer U-Boote entscheiden. Weitere Milliarden-Ausgaben drohen.

Die zu erwartenden Kosten für den Erhalt des Atommachtstatus sind also enorm. Dabei war London angesichts knapper Kassen zuletzt um deutliche Einsparungen im Verteidigungshaushalt bemüht. Die mitregierenden Liberaldemokraten erwägen aus Kostengründen, die vier alten Boote nur durch drei neue zu ersetzen und die permanente Einsatzbereitschaft von mindestens einem der U-Boote einzustellen.

So oder so: Mit dem gegenwärtigen Budget sei ein Umzug der Trident-Flotte nicht zu stemmen, sagt Alan West, Chef der britischen Marine in den Jahren 2002 bis 2006. Es könne daher sein, »dass die Leute sagen, dann müssen wir eben aufhören, eine Atommacht zu sein«. Dem früheren Nato-Generalsekretär George Robertson ist das Szenario einer »einseitigen atomaren Abrüstung« ein Grauen. Der Brite sagte im April. »Die Kräfte des Bösen werden sich freuen.«

Laut einer neuen Umfrage führt das Lager der Gegner einer Abspaltung wieder knapp. Wie aus der am Donnerstag veröffentlichten Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervorgeht, würden 52 Prozent gegen die Unabhängigkeit stimmen, 48 Prozent wären dafür.

Am Samstag hatten die Befürworter einer Abspaltung Schottlands zum ersten Mal in einer Umfrage eine Mehrheit erreicht - das Ergebnis hatte die Londoner Politik alarmiert. Am Mittwoch appellierten die Vorsitzenden der drei wichtigsten britischen Parteien eindringlich an die Schotten, gegen eine Abspaltung zu stimmen. Ein Auseinandergehen der britischen Nationen »würde mir das Herz brechen«, sagte Premierminister David Cameron in Edinburgh. Auch der Liberalen-Chef Nick Clegg und Oppositionsführer Ed Miliband wandten sich leidenschaftlich gegen eine Abspaltung. AFP/nd

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