Der Birkan ist ein Engel

In den Magic-Life-Clubs von TUI treffen sich Singles aller Altersgruppen. Von Gabi Kotlenko

Wir sind das dritte Mal hier. Es ist einfach toll. Meer, Berge, und nun soll das schon wieder vorbei sein?» Das Ehepaar aus Leverkusen ist enttäuscht. Der «Club Magic Life», am Fuße des Taurusgebirges direkt am Mittelmeer im türkischen Ferienort Kemer und etwa eine Busstunde vom Flughafen Antalya entfernt, kann Urlauber schon zum Wiederholungstäter machen. Und die beiden sind bei weitem nicht die einzigen, die Trauer tragen. Zwar bleibt die Ferienanlage in Kemer erhalten, aber ein «magischer Klub» ist sie in der neuen Saison nicht mehr.

Auch an einem sehr langen Tisch im Freien hat sich die Nachricht von der Schließung des Klubs schon herumgesprochen. Doch von Traurigkeit ist hier nichts zu merken. Höchstens ein bisschen bei Andi aus Goslar. Er saß jeden Morgen startklar mit Rucksack und Fahrradhelm beim Frühstück und schwang sich danach gleich auf sein Mountainbike. Er wird die Berge um Kemer vermissen.

Aber die meisten am Tisch schmieden bereits Pläne für den nächsten Urlaub. Da geht es eben nicht nach Kemer, was soll's. Kreta ist ja sicher auch schön. Denn für sie ist nicht der Ort wichtig, sondern die Gemeinschaft an ihrem Tisch. Nur dass der dann ab Mai eben auf Kreta steht. Die ersten Verabredungen für Kreta sind bereits getroffen. Und das wichtigste: Ihr Engel zieht mit. Birkan Ilhan ist der «Magic Angel». Den gibt es in jedem «Club Magic Life». Er oder sie kümmern sich um Alleinreisende und bringen sie durch verschiedene Freizeitangebote zusammen.

Birkan und seine sportlichen Frauen haben sich ihr Frühstück redlich verdient. Haben sie doch bereits früh am Morgen eine große Nordic-Walking-Runde gedreht. Denn schon am Vormittag brennt hier die Sonne zu heftig. Da sucht man doch lieber Unterschlupf unter dem Sonnenschirm am Meer oder am Pool.

Am sogenannten Single-Tisch ist immer Betrieb. Ob essen oder einfach nur quatschen, irgendjemand ist da. Das Wort Single, erklärt Birkan, ist eigentlich etwas ungenau. «Wir sagen Alleinreisende. Das muss nicht unbedingt ein Single sein, das können Freunde oder Freundinnen sein, die von ihren Partnern mal eine Woche frei bekommen haben oder Kinder mit Mutter oder Vater. Kinder finden schnell Freunde, Mutter oder Vater bleiben dann einsam zurück, weil ja die meisten in Familie unterwegs sind.» Aber nicht, wenn es Engel wie Birkan gibt. An dem großen Tisch ist jeder willkommen. Und die Schüchternen nimmt Birkan erst mal in seine Obhut.

Single-Tisch klingt aber auch ein bisschen wie Suche. Doch die wenigsten machen deshalb Urlaub in solch einem Klub. Den meisten ist es wichtig, nicht allein zu sein. Etwa zwischen 35 und 70 sind die Menschen an der langen Tafel. Natürlich gibt es auch dann und wann ein neues Paar. Ernst aus Gratkorn bei Graz reist immer noch allein. «Meine Ansprüche: 1,70 Meter, blonde lange Haare und viel Holz vor der Hütte.» Als er unsere entgeisterten Gesichter sieht, klärt er schnell auf, dass das nur ein Scherz war. «Sie kann Hausmeisterin sein oder Ärztin. Die einzige Bedingung: Ich muss sie lieben dürfen mit Herz und Seele.»

Der 51-Jährige ist geschieden. Seine Kinder, die er nach der Trennung allein großzog, sind erwachsen. Er stieß zufällig auf die Single-Reise-Angebote des Magic-Life-Clubs und erzählt stolz, dass das eine österreichische Erfindung ist. 2009 reiste er erstmals nach Marmaris und lernte mit Fatme seinen ersten Engel kennen, zu dem er immer noch Kontakt hat. Ernst wurde zum Wiederholungstäter. Nach mehreren Reisen nach Marmari verschlug es ihn seit 2011 mehrfach nach Kemer. «Der Birkan ist schwer in Ordnung», schwärmt er vom neuen Engel. «Der bringt alle Schäfchen unter einen Hut, was nicht einfach ist. Denn es gibt bockige und pflegeleichte Schäfchen.» Gefunkt hat es bei Ernst noch nicht. «Ich fahre auch nicht deshalb. In erster Linie will ich nette Menschen kennenlernen und mit ihnen im Urlaub Spaß haben. Doch ich wäre ja ein alter Mann, wenn ich nicht zugreifen würde, sollte ich irgendwann die Dame meiner Begierde treffen - und sie es natürlich auch will. Die Richtige wird eines Tages kommen.» Ernst bleibt zwei Wochen und freut sich auf Biken, Wasserball, Buch lesen. «Einfach den Kopf freibekommen, das funktioniert hier super.»

Birkan steht neben der Tafel mit den Freizeitangeboten. Dart, Tennis, Mountainbiketouren, Bogenschießen, Tauchen, Wasserski, Boccia, Nordic Walking. Auch ein Türkischkurs wird angeboten. Und Shuffleboard. Was ist das? Birkan zeigt es uns. Es ist eine Art Curling, nur ohne Eis. Und etwas schneller. Die Bahn ist aus Beton oder Kunststoff. Mit Hilfe eines «Schiebers» muss eine Scheibe auf die gegenüberliegende Seite des rechteckigen Spielfeldes befördert werden. Dort sollen sie möglichst auf Feldern mit hohen Punktezahlen liegenbleiben. Macht jedenfalls Riesenspaß.

«Ich werde als Magic Angel keine Karriere machen, aber es ist eine wunderbare Erfahrung. Man lernt viel über die Menschen. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, würde ich gern Psychologie studieren. Vielleicht schreibe ich mal ein Buch.» Der 56-jährige Birkan strahlt eine enorme Ruhe aus. «Mein Alter erlaubt mir, Rat zu geben.» Erfahrung hat Birkan für mehrere Leben. «Ich bin ein Aussteiger», erklärt er lächelnd. «Ich habe alles hinter mir: Eine Scheidung, einen Konkurs, Burn Out. Er hat 30 Jahre in Österreich gelebt, in Wien unter anderem jahrelang das Szenelokal »Zum Hungerkünstler« geführt.

Auch Jasmin ist von Birkan begeistert. Die 39-jährige Physiotherapeutin aus Hamburg schätzt sehr, dass er sich um alle Probleme kümmert, aber sehr angenehm zurückhaltend ist. Jasmin hat bereits Verabredungen für Kreta getroffen. Sie liebt den Urlaub unter Gleichgesinnten, der Tisch für Alleinreisende sei Klasse. »Hier wird nicht gebaggert oder geflirtet, was das Zeug hält. Hier treffen sich ungezwungen Menschen, die sich unterhalten oder gemeinsam etwas erleben wollen.«

Wer es ohne Birkan bis zum Mai auf Kreta nicht aushält, kann den Magic-Life-Club im Süden der Kanareninsel Fuerteventura ansteuern. Dort überwintert Birkan, natürlich als Magic Angel.

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