Ans Anpassen angepasst

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Hochschuldozentin Christiane Florin kritisiert in ihrem Buch, dass Studierende heute zu angepasst sind. Doch Studierende haben sich nicht aus Spaß oder Desinteresse angepasst. Sie gehen nur äußerst klug mit einer Bildung um, die sich der Ökonomie unterworfen hat, meint Ramona Seeger.

Liebe Christiane Florin,

Sie schimpfen in Ihrem Essay über eine Generation von Studierenden, die zu müde zum Diskutieren ist, Adorno nicht kennt und nach vorgefertigten Stundenplänen giert. Sie vermissen den Ehrgeiz, die Begeisterung für Themen und eigenständiges Denken. Zu angepasst seien wir.

Wundert Sie das etwa? Natürlich haben wir Studierenden uns angepasst. Angepasst an eine neoliberale Ideologie, welche die Bildung der Ökonomie unterworfen hat. Die Ökonomisierung der Hochschulen hat erhebliche Auswirkungen auf uns, Dozierende und die Inhalte von Seminaren. Besonders die Orientierung der Bildung auf den Output, der enorme Zeitdruck, mit dem wir im Studium zu kämpfen haben und die begrenzte Themenauswahl lassen uns wenig Raum für kritische Diskussionen. Das macht aber nichts. Wir haben nämlich verstanden, wie der Hase läuft.

Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass wir uns eher für Strukturfragen als für den Studieninhalt interessieren. Wir haben in einem immer schneller werdenden Alltag gelernt, ergebnisorientiert
zu arbeiten und zu lernen. Uns wurde in der Schule beigebracht, dass es auf den Outcome ankommt: »Learning to the test« war das allgegenwärtige Credo, in zahlreichen Tests wurden unsere Fähigkeiten verglichen. Wir formulierten Standardantworten, die keine Kreativität verlangten. Wir hatten kein gutes Gefühl dabei, spielten das Spiel aber mit. Die standardisierten Vergleichstests fielen schlecht aus. Ein gutes Zeichen: Wir hatten uns (noch) nicht angepasst.

Zum Lesen fehlt uns die Zeit

Sie kritisieren die fehlende Bereitschaft von uns, in Seminaren kontrovers zu diskutieren. Aber wie stellen Sie sich das im Bachelor-Master-System vor? Zwei Drittel von uns arbeiten neben dem Studium, um über die Runden zu kommen. Insgesamt sind wir 42 Stunden in der Woche mit Lehrveranstaltungen, Selbststudium und Jobben beschäftigt. In den meisten Seminaren besteht Anwesenheitspflicht. Dann werden wir genötigt (»Lesen gehört zur Prüfungsvorleistung!«), in allen Seminaren ein 40-Seiten- Pamphlet bis zur nächsten Woche zu lesen. Da die Woche nur sieben Tage hat, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu selektieren. Wir picken uns die Rosinen raus: das, was am wenigsten Zeit beansprucht. Denn viel Zeit haben wir zum Studieren nicht. Wir wissen, dass uns das BAföG gestrichen wird, wenn wir die Regelstudienzeit nicht einhalten.

Übrigens begrüßen wir es in diesem zeitlich straffen Studium sehr, wenn Sie uns ein bisschen Arbeit abnehmen und organisatorische Aufgaben erledigen. Ein gut strukturierter Seminarplan zu Semesterbeginn und hilfreiche Texte für die Hausarbeit, die Sie in den E-Learning-Bereich hochladen. Und es wäre hilfreich, wenn Sie genau angeben, was von uns erwartet wird, damit wir die Credit Points bekommen, die wir für unseren Abschluss brauchen. Ach Frau Florin, unter uns: die traditionelle Rolle der Dozierenden hat sich verändert, genau wie der Rest der Bildung auch. Sie als Dozentin sind heute unser Coach. Und es wäre doch sehr verlogen, wenn wir alle gemeinsam in den Seminaren so tun, als ob wir kritische Wissenschaft betreiben würden.

Wir streben nach dem perfekten Lebenslauf

Im Ernst. Es geht doch nicht mehr darum, kritische und selbst denkende Menschen auszubilden. In der Politikwissenschaft dreht sich heute alles um Governance-Theorien, das Optimieren von Human Resources und statistische Verfahren. Private Elite-Hochschulen wie die Hertie School of Governance bilden junge Menschen zu PolitikberaterInnen aus. Public Management ist heute gefragt, kein Adorno, Weber oder Schmitt. Und erst recht kein Marx oder Gramsci. Und nein, wir haben keine Lust, über Angebotskurven, Pareto-effiziente Zustände oder Regressionsanalysen zu reden.

Wir wollen nicht über Dinge debattieren, deren Relevanz für uns nicht offensichtlich ist. Notfalls können wir das auch googeln. Wir möchten lieber perfekt auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Der Gedanke ans Scheitern und die Gefahr, Hartz IV beziehen zu müssen, sind für uns das Schlimmste. Dass wir um Arbeitsplätze konkurrieren, wurde uns bereits in der Abi-Phase eingetrichtert und auch, dass diese Arbeitsplätze mit angepassten, dynamischen Leuten ohne eigene Ideen, aber mit perfektem Lebenslauf besetzt werden. Natürlich oft schlecht bezahlt und noch öfter befristet. Das kennen wir alles schon aus unseren vielen Praktika. Und Sie als Dozentin kennen das ja auch. Unterbezahlt und überlastet, sind viele Dozierende froh, wenn sie ein Seminar zu 80 Prozent mit Referaten füllen können.

Wenn Sie dann doch mit uns frontal über das konstruktive Misstrauensvotum debattieren wollen, bitteschön! Dann verkriechen wir uns hinter unsere Laptops und bereiten schon mal das nächste Referat vor.

Angepasste Grüße,
Ramona Seeger

Christiane Forin, Warum unsere Studenten so angepasst sind, Rowohlt, 80 S., 4,99 Euro

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