Historisch nicht haltbar

Für die Stasi-Unterlagen-Behörde bleibt Manfred Stolpe ein Zuträger des MfS

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Stasi-Vergangenheit im Fokus: Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk fordert einen anderen Blick auf die Vergangenheit Manfred Stolpes.

Zur Abwechslung ist derzeit wieder die Vergangenheit von Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) im Gespräch. Ein Historiker der Unterlagenbehörde, Ilko-Sascha Kowalczuk, wird im Magazin »Der Spiegel« mit den Worten zitiert: »Ich bin mir sicher, dass in Zukunft Manfred Stolpes politisches Agieren bis 1989 weitaus differenzierter und ausgewogener betrachtet werden wird, als es bislang üblich ist«. Für ihn sei Stolpe »in erster Linie als Kirchenvertreter« aufgetreten. Und es sei »historisch nicht haltbar«, Stolpe als eine Person zu bezeichnen, welche »die Interessen von Staat und SED vertrat«. Bemerkenswert ist dabei, dass der Historiker sich gegen die offizielle Haltung seines Dienstherren stellte: Die Behörde sieht seit Jahrzehnten in Manfred Stolpe nichts anderes als einen »wichtigen IM der Staatssicherheit in der Evangelischen Kirche«. - Kowalczuk wertete mit seinem Kollegen Arno Polzin Hunderte Telefon-Abhörprotokolle für eine Buchveröffentlichung (»Fasse Dich kurz!«) aus.

Zuvor war es die Aufarbeitungs-Enquetekommission des Potsdamer Landtags, die sich dem Stasi-Thema zuwandte, allerdings war vor allem die SPD bemüht, Manfred Stolpe aus diesen Nachforschungen herauszuhalten. Die Opposition war mehr oder weniger damit einverstanden, dass es keine Neuauflage des Stolpe-Untersuchungsausschusses geben sollte.

Denn der Historiker Kowalczuk irrt, wenn er davon ausgeht, Stolpe sei einseitig dem Verdikt seines Hauses verfallen. Zwischen 1991 und 1995 fand etwas statt, was allen späteren Behauptungen von Verschweigen und Verharmlosen der DDR-Vergangenheit widerlegt: Fast vier Jahre lang hatte ein Untersuchungsausschuss des Potsdamer Landtags das Verhältnis von Stolpe, der als »IM Sekretär« geführt worden sein soll, zur Kirche, zur SED-Führung und zur Staatssicherheit beleuchtet. Er kam mehrheitlich zu dem Schluss, dass Stolpe die Kirche nicht verraten sondern ihre Interessen gewahrt hatte. Darüber zerbrach 1994 die Ampel-Koalition, die erste Nachwende-Regierung in Brandenburg. Die damalige Bildungsministerin Marianne Birthler (Grüne) stellte ihren Posten zur Verfügung und übernahm einige Jahre später die Leitung der Unterlagen-Behörde. Ihr Vorgänger in diesem Amt, Joachim Gauck, hatte Stolpe im Untersuchungsausschuss schwer belastet, in eigener Sache konnte er aber einen Rechtsstreit gegen den Anwalt Peter Michael Distel nicht gewinnen, der Gauck als einen »Begünstigten der Staatssicherheit« bezeichnet hat. Stolpe konnte hingegen Gauck gerichtlich verbieten, ihn weiter als wichtigen IM in der Kirche zu bezeichnen.

Stolpe war vor der Wende Jurist und Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Er war viel herumgekommen, hatte Zugang zu allen und jedem im Lande, saß bei Verhandlungen dabei oder führte sie selbst.

Weil Stolpe die ersten Anwürfe nicht einfach ausräumen konnte, wurde auf Antrag der CDU im Frühjahr 1992 der Untersuchungsausschuss unter Leitung von PDS-Fraktionschef Lothar Bisky gebildet. Bisky - das ließen ihm auch seine Gegner - blieb bis zum Schluss so unbestritten und souverän Gremiumschef, wie man es bei diesem schwierigen und bizarren Thema nur sein konnte. Die Liste der Vorwürfe gegen Stolpe war am Ende überwältigend, aber noch überwältigender war, dass er letztlich standhaft im Amt blieb. Der verzweifelte Westen verstand die Welt nicht mehr. Ein Zehntel des Drucks hätte eigentlich ausreichen müssen, um den Politiker zu Fall zu bringen.

Alle Vorwürfe wurden in der Sache Stolpe widerlegt und wiederum doch gar nichts. Immer blieben beachtliche Restzweifel. Immer konnte man den Fall so oder so sehen. Stolpe überstand das alles am Ende mit Hilfe der eigenen SPD, der damaligen PDS, der FDP und der brandenburgischen Bevölkerung. Im April 2000 tat der Ministerpräsident das, was er schon längst hätte tun müssen. Er warb für Gleichbehandlung von Ost- und Westdeutschen in Stasi-Fragen und dafür, dass nicht länger die künstliche Ost-Fixierung Bestand haben sollte. Doch blieb das ohne Echo und sein eigener Fall damit weiter ein Sonderfall. Stolpe forderte »gleiches Recht für alle«. Ungereimtheiten und Ungleichbehandlungen, die für die Ostdeutschen gelten, müssten beseitigt werden.

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