Demokratietauglichkeitsnachweis

Geht die Welt mit einem linken Ministerpräsidenten unter? Eine ZDF-Runde diskutierte einen angeblichen «Tabubruch»

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Maybritt Illner hat am Roten Kloster in Leipzig Journalismus studiert, war in der SED und hat in Zeiten für das DDR-Fernsehen gearbeitet, als dieses alles Mögliche war - außer ein Platz für kritisches Denken. Daraus schablonenartige Urteile über die Person hinter diesen drei biografischen Details zu fällen, wäre so falsch wie irreführend. Heute moderiert die Frau eine Talkshow beim ZDF, die sich am Donnerstagabend unter der Überschrift «Thüringer Wendehälse» der Frage zuwandte, ob Rot-Rot-Grün ein «Tabubruch für die Macht?» sei.

Um Rot-Rot-Grün ging es dann freilich nicht. Dafür aber viel um schablonenartige Urteile über die Geschichte. Auf dieser ZDF-Bühne hatte es jeder Versuch schwer, mit Argumenten zu kommen, statt auf Reflexe zu setzen. Warum ein Vertreter der Rechtspartei AfD dabeisaß? Offenbar brauchte man Bernd Lucke, um dem Ganzen einen totalitarismustheoretischen Anstrich zu verpassen.

Warum etwas, nämlich ein linker Ministerpräsident, der in Umfragen im Osten auf breite Zustimmung stößt und sich auf ein demokratisches Votum stützen könnte - man mag es vergessen haben: aber Linkspartei, SPD und Grüne wurden tatsächlich gewählt - als «Tabubruch» bezeichnet werden muss? Weil nicht sein darf, was nicht sein soll: eine linke Alternative zur Merkel-Dominanz.

Dass in der veröffentlichten Meinung vor allem und beinahe ausschließlich, die Vergangenheit eine Rolle spielt, es aber kaum über die Zukunft geht, verzerrt nicht nur den Blick auf eine parteipolitische Konstellation, die man mit großer Gelassenheit betrachten sollte. (Das stärkt übrigens auch die Kritik an Rot-Rot-Grün, die dieses Modell mehr nötig zum eigenen Leben hat als alle anderen Bündnisfarben.) Es erschwert auch jede öffentliche Debatte über den eigentlichen Inhalt linksreformerischer Politik. In der findet Vergangenheitsaufarbeitung natürlich Platz, das ist aber nicht ihr Kern, auch nicht das alternative Moment daran.

Dieses müsste sich vielmehr in realer Politik, in spürbaren Verbesserungen - auch all der Voraussetzungen, die grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen dienen könnten - zeigen. Und erst wenn die öffentliche Diskussion darüber auch eine ist, die man bei Maybrit Illner führen könnte (und nicht nur in Zirkeln und Zeitungen), wäre ein Maß an Verallgemeinerung linksreformerischer Diskussion möglich, das auch «diskurswirksam» wird: also Begrifflichkeiten, Sichtraster, Einstellungen und Werte von Menschen verändert.

Auf dem Weg zu etwas wie gesellschaftlichen Mehrheiten für reale Veränderung ist das so unverzichtbar wie es die Voraussetzung dafür ist, dass auch unter Mitte-Links-Regierungen über Sachzwangargumente und neoliberale Denk-Imprägnierungen hinausgekommen wird.

In den Zeitungen wird die Illner-Sendung am Morgen danach ziemlich kontrovers gesehen. Kleiner Überblick über die Nachtrezensionen von einer Diskussionsrunde:

Thüringer Allgemeine: «Stasi in die Koalition»

An dieser Stelle musste man sogar als um Neutralität bemühter Zuschauer dankbar sein, dass ein Mann zu Wort kam, der tatsächlich die thüringischen Verhältnisse kennt. Bundestagsfraktionsvize Dietmar Bartsch wusste als einziger unter den Gästen, zu denen auch die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi und AfD-Chef Bernd Lucke zählte, wie die früheren Stasi-IM unter den Erfurter Abgeordneten heißen - und welche Geschichte sie haben. Mehr hier

Frankfurter Rundschau: «Rechte Demagogen»

Die Moderatorin legte es darauf an, Rechte (AfD)und Linke (Dietmar Bartsch) aufeinander loszulassen, um dem Publikum einen Beweis für das absurde Klischee «Rechtsradikale gleich Linksradikale» zu liefern. Funktionierte aber nicht. (...) Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall muss die Linke immer noch den Demokratietauglichkeits-Nachweis führen, während die ehemaligen Blockflöten der CDU, wie SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zu Recht anmerkte, unbehelligt in den Parlamenten Ostdeutschlands hocken. Mehr hier

Frankfurter Allgemeine: «Gestank, 25 Jahre gegen den Wind»

Maybrit Illner wollte am Donnerstag über die sich anbahnende rot-rot-grüne Koalition in Thüringen reden, und sie bekam, was sie bekommen musste – denn sie wollte es offenbar nicht anders. Mehr hier

Die Welt: «Wenn AfD und Linke am jeweiligen Personal zweifeln»

«25 Jahre nach dem Fall der Mauer hat die Linke als mittelbare Nachfolgepartei der SED beste Chancen, den Ministerpräsidenten von Thüringen zu stellen. (...) Den SED-Erben, von denen viele das Unrecht in der ehemaligen DDR bis heute leugnen, zur Regierungsmacht zu verhelfen, kommt vielen als Kapitulation vor der Linkspartei gleich. (...) Am Ende der Sendung blieb die Frage offen, ob die Linke tatsächlich fürs Regieren geeignet ist. Bartschs fragwürdige Äußerungen sorgten für mehr Fragezeichen als Aufklärung - und lassen für die Zukunft nichts unbedingt Gutes vermuten. Mehr hier

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