Bewacht rund um die Uhr

Mit dem Thriller »Besondere Schwere der Schuld« verabschiedet sich Götz George vom Bildschirm

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach 30 Jahren im Knast ist Joseph Komalschek wieder in seiner Heimat. Zwei Menschen soll er umgebracht haben, eine junge Frau und ihr Baby, dessen Leiche nie gefunden wurde. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Nun ist er frei, ein alter Mann, der seine Seele verloren hat. Und der sich in einer neuen Welt mit Euro und Internet zurechtfinden muss.

Er selbst hätte nicht die Kraft, diese Zeit im Dunkeln verstreichen zu lassen, sagt Götz George über seine Figur in Kaspar Heidelbachs Psychodrama »Besondere Schwere der Schuld«. Drei junge Polizisten bewachen Komalschek rund um die Uhr, die einstigen Nachbarn beobachten jeden Schritt mit Argwohn und wachsender Angst. Denn Komalschek sucht verzweifelt nach dem Kind. Er habe noch eine Aufgabe zu Ende zu bringen. Das habe ihn am Leben erhalten, so George.

Die Rolle wurde ihm auf den Leib geschrieben. Dann kam das Buch zum brisanten Thema der Eingliederung von Langzeitgefangenen, deren einstige Verbrechen Ängste bei Anwohnern auslösen, beim NDR in die Querelen um die gefaketen Drehbücher der Fernsehspielchefin Doris Heinze. Sie hatte das Buch abgenommen, ihre Nachfolger legten den Stoff fünf Jahre auf Eis.

Komalschek hat sein Schicksal angenommen, er hat etliche Einbrüche auf dem Kerbholz. Die vergrabenen Tausender sind heute nicht mal das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Doch was trieb ihn zum Doppelmord? Das Geheimnis lüftet der Film gut dosiert, was ihm die notwendige Spannung verleiht. Komalschek bleibt dabei passiv. Nur durch seine Präsenz und die Würde, mit der er die Verachtung seiner Mitmenschen trägt, schreckt er die gleichaltrigen Männer der Kleinstadt auf. Sie müssen sich ihren verdrängten Abgründen stellen. Aus diesem großartigen Ensemble mit Hannelore Elsner, Thomas Thieme und Manfred Zapatka ragt George heraus.

George empfand diese Konstellation als Geschenk. Noch einmal konnte er seine große schauspielerische Kraft ausspielen, die oft ohne große Worte und Dialoge auskam. Wie kaum ein zweiter versetzte er sich in die Seele von Psychopathen und Mördern. Er verschwindet stets vollständig hinter der Rolle, seine Persönlichkeit verschmilzt für den Dreh mit der seiner Figur.

Doch nun soll Schluss sein. George verabschiedet sich mit dieser grandiosen Performance und kündigt seinen Abschied an. Auf der Ziellinie seines Lebens will sich der 76-Jährige nicht länger mit »bürokratischen Suppenkaspern« herumärgern, die inhaltliche Verflachung des Programms habe ihm die Entscheidung erleichtert.

Der am 2. Juli 1938 geborene Star wollte stets selbst den Zeitpunkt seines Abdankens bestimmen. Bereits 1990 sagte er der Bühne Ade. Als Hirtenjunge stand der Halbwüchsige das erste Mal auf den Brettern, in Göttingen hatte er seine ersten Theater-Engagements. In den 70er und 80ern war er mit selbst inszenierten Stücken monatelang auf Tournee.

Georges Karriere ist ein Spiegel deutscher Film- und Fernsehgeschichte. Rund 250 Rollen stehen zu Buche. Blutjung stand er neben Romy Schneider und in den legendären Winnetou-Adaptionen vor der Kamera. Das deutsche Autorenkino konnte wenig mit dem eigenwilligen Star anfangen. 1972 ließ George den legendären Faßbinder nach einem Streit abblitzen. Der Schauspieler wechselte zum Fernsehen, wo er seit 1981 als ruppiger Duisburger »Tatort«-Kommissar Schimanski das Genre aufmischte und zum Idol einer ganzen Generation wurde. Mit dem »Totmacher« gelang ihm dann 1995 das Kino-Comeback als Charaktermime.

Götz George wird fehlen. Das beweist nicht zuletzt sein letzter Auftritt in diesem sehenswerten Thriller.

ARD, 1.11., 20.15 Uhr

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