Bahnversteher

Von den Parallelen in der Berichterstattung über den GDL-Streik und die 68er-Proteste

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Springers Zeitung fürs Grobe machte seit ihrer Gründung 1952 nie ein Geheimnis aus ihrem Klassenstandpunkt. Dass die Arbeiterschaft zwar seit jeher zur Kernzielgruppe der »Bild« gehört, hinderte selbige nie daran, die Werktätigen gegeneinander auszuspielen. Im derzeitigen Tarifkonflikt zwischen GDL und Deutscher Bahn steht die selbst ernannte »Außerparlamentarische Opposition« fest auf Seiten des Bahnkonzerns - Studentenführer Rudi Dutschke würde bei dieser Ironie im Grab rotieren, in das ihn die Spätfolgen eines Attentates durch den jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann beförderten.

Womit wir bei den erschreckenden Parallelen zwischen der Hatz auf die studentischen 68er-Proteste und den heutigen Streiks der Lokführergewerkschaft sind. Das Boulevardblatt verkauft seine Berichterstattung zwar als Abbild der öffentlichen Meinung, doch selbst Chefredakteur Kai Diekmann dürfte sich der kaum kontrollierbaren Wirkung bewusst sein, wenn die auflagenstärkste Zeitung der Republik im Print und Online schreibt: »Wenn Sie dem Bahnsinnigen selbst die Meinung geigen wollen, das ist seine Telefonnummer …« und damit suggeriert, GDL-Chef Claus Weselsky würde sämtliche Gewerkschafter mit der Pistole an die Schläfe haltend im Alleingang zum Arbeitskampf zwingen. Auf Twitter verteidigt sich @KaiDiekmann mit dem Hinweis, Weselskys Büronummer wäre doch im Internet vermerkt, wenngleich jeder Journalist wissen dürfte, dass die seit Wochen andauernde Zuspitzung eines Konfliktes auf eine Einzelperson wiederum Menschen in ihrem Hang zu Kurzschlussreaktionen befördern könnte.

Noch weiter als »Bild« geht nur noch das Bahnversteherblatt »Focus Online«. Das Magazin schickte einen Reporter los, um Weselskys Wohnung zu finden und samt Foto des Hauses sowie für Ortskundige ausreichender Beschreibung zu veröffentlichen. Der GDL-Chef hat inzwischen die Polizei eingeschaltet, da er sich nicht mehr sicher fühlt.

Dem Deutschen Journalistenverband (DJV) geht das zu weit: »Wie Claus Weselsky wohnt, ist irrelevant«, sagt DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken und verweist auf die journalistischen Spielregeln, genannt Deutscher Pressekodex. Dem dazugehörigen Gremium Deutscher Presserat liegen Beschwerden wegen der »Hetzkampagne von Bild und Focus-Online gegen GDL-Chef Weselsky« vor.

Sebastian Schmidt von medienMITTWEIDA merkt an: »Für Hetzjagden in unseren Medien gibt es keine Rechtfertigung«. Doch diese müssen die angesprochenen Medien kaum noch selbst befeuern, denn ihre Berichterstattung führte inzwischen täglich tausendfach zu den gewünschten Reaktionen auf der Straße und nachlesbar im Netz. In den harmlosen Fällen sind viele nur wütend, doch hinter der Anonymität eines bildlosen Profils wünschen einige Menschen Weselsky einen Unfall und ähnliches. Sollte ein solcher Mob irgendwann jemanden hervorbringen, der dies in die Tat umsetzt, will bei »Bild« und »Focus« natürlich niemand Schuld an der Schlagzeile gewesen sein.

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