Der inszenierte Hass

Nahost-Konflikt: Selbstbewusstsein beider Gegner stärken

  • Wolfgang Schmidbauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn wirkt so verhärtet, dass den Psychotherapeuten die zweifelnde Frage erreicht: Können solche Gegner überhaupt noch zusammenkommen? Was müsste geschehen, um sie nicht nur an einen Verhandlungstisch zu bringen, sondern auch Ergebnisse zu erzielen, die mehr sind als Kriegslisten und prekäre Konstruktionen? Wurzelt der Hass nicht so tief, dass Generationen nicht ausreichen würden, um ihn aufzulösen? Obwohl es auf den ersten Blick paradox klingt: Dieser Hass zwischen Zionisten und Arabern in Palästina scheint mir eher das kleinere Problem. Gefühle sind intensiv, aber auch flüchtig. Daher haben die Mächtigen schon immer versucht, die Gefühle ihrer Anhänger »bei der Stange« zu halten. Gemeint ist die Stange, an der die Fahne hängt. Fahne, Uniform, Ritual dienen dazu, aus dem prinzipiell unzuverlässigen, seiner Lust und Laune nachgehenden Menschen den diszipliniert hassenden Kämpfer zu machen. Ein Feindbild längere Zeit festzuhalten, widerspricht der menschlichen Natur ebenso wie ein Feldzug, der länger dauert als ein Siegesmarsch. Es gibt Berichte über die Kulturen der Jäger und Sammler, welche deutlich machen, wie unzuverlässig die »kriegerische« Haltung primär ist. Rituale müssen die Kampfbegeisterung schüren. Der Kriegstanz der Indianer ist ein Beispiel. Aber indianische Krieger, die von den Ethnographen befragt wurden, berichten auch über erstaunliche Mängel der Kampfdisziplin. Wenn ein Krieger keine Lust mehr hatte oder auf eine verlockende Büffelfährte traf, gab er den Feldzug auf. Es gäbe keine Strafen für Deserteure, wenn der Mensch die Kampfmaschine wäre, als die ihn militaristische Filme gerne abbilden. Was in den Medien als Ausdruck des unversöhnlichen Hasses dargestellt wird, ist Propaganda, auf beiden Seiten. Inspirierte Gotteskrieger brauchen kein Video, auf dem sie mit Kalaschnikow und Bombengürtel posieren. Der durchschnittliche Araber und der durchschnittliche Isreali gehen beide lieber gut essen, als Fahnen zu schwingen und politische Botschaften vor Fernsehkameras zu bringen. Derlei Bequemlichkeit, den Politikern und Militärs auf beiden Seiten ein Greuel, ist weit verbreitet, aber nicht fotogen und keine Nachricht. Wie wenig Medienberichte die Realität eines Landes spiegeln, habe ich einige Male auf Reisen in den Jemen erlebt. Die deutschen Freunde warnten vor gefährlichen Entführern und islamistischen Fanatikern, die als einzige Jemeniten in den Massenmedien repräsentiert sind. Im Land findet der Reisende dann zahlreiche freundliche, genussfrohe Menschen, traditionelle Bauern, pfiffige Händler, fromme Muslime, die Terroristen ebenso kriminell und/oder verrückt finden, wie wir das tun. Deutschland und Frankreich kämpften viele Jahrzehnte um das Elsass und Lothringen, deutsche Provinzen für Berlin, französisches Stammland für Paris. Der Franzose war ein Erzfeind, von den napoleonischen Kriegen bis in den Zweiten Weltkrieg. Sich mit solchen Menschen bestens zu vertragen und die lange kriegerische Geschichte zu vergessen, hätte vor hundert Jahren niemand anzukündigen gewagt. So können wir auch die Frage, ob eine belastende Geschichte »vergessen« werden kann, in ähnlicher Weise umkehren: Der Durchschnittsbürger vergisst viel schneller als es seinen Erziehern gefällt. Wozu bräuchten wir sonst Denkmäler, Gedenktage, Gedenktafeln und die propagandistische Wiederholung? Die menschliche Psyche ist so konstruiert, dass sie alles Unangenehme auszublenden sucht, wenn es keine unmittelbare Bedrohung mehr darstellt. Wir schütteln die Vergangenheit rasch ab, wenn wir dafür günstige Bedingungen finden. Wer die Nachkriegszeit noch erlebt hat, wird mir zustimmen. Natürlich hat später ein geschärfter Blick die mannigfachen Traumatisierungen auffinden können. Aber in wenigen Jahren wurden aus den gehassten Feinden Besatzungsmächte, schliesslich Verbündete. Bescheren wir den Menschen im Nahen Osten stabile Grenzen und persönliche Sicherheit, Souveränität und Unabhängigkeit von fremden politischen Einflüssen, und wir werden Palästina in wenigen Jahren nicht wiedererkennen. Mir scheint die Unterstützung der Feindbilder von Außen das grösste Hindernis für den Frieden. In Palästina tobt ein Stellvertreterkrieg, in dem die biblische Maxime »Auge um Auge, Zahn um Zahn« verloren geht. Jede Seite hat nicht nur das eigene Wohlergehen im Auge, sondern auch das Wohlgefallen mächtiger Verbündeter. Solange die Vorstellung, man könne einen Krieg gegen Terror mit Kampfbombern führen, nicht auf dem Abfallhaufen der politischen Instrumente liegt, wird es die Vernunft sehr schwer haben, sich durchzusetzen. Wenn ich nach einem Vergleich suche, wie es möglich sein kann, in einer eskalierenden Spirale von Kränkung und Gewalt gefangene Parteien zu einem Ausgleich zu bringen, fällt mir der paradoxe Rat für den Chef ein, der sich darüber beklagt, dass er einen Mitarbeiter nicht loswerden kann, den er seit Jahren durch Mobbing quält. »Geben Sie ihm eine Gehaltserhöhung!« Wer entwürdigt und gekränkt wird, kann sich häufig aus dieser Situation nicht befreien, weil sein Selbstbewusstsein extrem geschwächt ist. Er hält deshalb an der negativen Situation fest, weil er sich keine positive mehr zutraut und will bis zum letzten Blutstropfen das verteidigen, was er für sein Recht hält. Wenn er nun plötzlich anerkannt wird, kann es sein, dass er sich neu orientiert und das tut, was er unter Druck niemals getan hätte. So gesehen finde ich es wichtig, dass die Außenstehenden alles tun, um sowohl das jüdische wie das arabische Selbstgefühl zu stärken. Erst wenn sich beide ineinander verbissene Gegner sicherer fühlen, werden sie aufhören können, den Kontrahenten als ewigen Erzfeind zu dämonisieren. Araber sind heute, ebenso wie die Juden, traumatisierte Völker, welche keine zusätzlichen Entwertungen und Vorwürfe verarbeiten können. Das heisst nicht, dass wir destruktives Verhalten nicht benennen und dagegen tun, was wir tun können. Aber nur wenn es aus dem Geist eines grundsätzlichen Wohlwollens für jeden der ehrwürdigen Gegner auf dem Tempelberg heraus geschieht, kann es zu einer Lösung beitragen.
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