Atom-Rest-Risiko: »Learning by doing«

Forsmark-1 und keine Ahnung: Umweltminister Gabriel kritisiert Entwarnung der Länder

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark am 25. Juli lässt sich nicht eins zu eins auf deutsche AKW übertragen. Dies meldeten die zuständigen Länderbehörden an Bundesumweltminister Gabriel - und der glaubt es. Vorläufig.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) betonte auf der Pressekonferenz am Mittwoch, dass er keinen Zweifel daran hat, dass die Betreiber von Atomkraftwerken glauben, für alle nur denkbaren Störfälle in ihren Anlagen ein regelndes Konzept zu haben. Das, so Gabriel, unterstelle er auch den Kollegen in Schweden. Und doch stand man - der Minister wollte sich nicht auf Minuten festlegen lassen - vor einem GAU, dem größten anzunehmenden Unfall. Ergo: Immer wieder stehe man vor bislang ungekannten Situationen. So sei das Prinzip »Learning by doing« einem so komplexem System, wie es ein Kernkraftwerk ist, nun einmal immanent. Er halte das aber angesichts des Gefährdungspotenzials der Atomenergie für nicht vertretbar. Das Pannen-AKW in Schweden basiere auf einer Technologie der 60er Jahre. Doch nicht nur im skandinavischen Nachbarland habe man aus Unfällen gelernt. 2001 stand man auch in Brunsbüttel vor einer Katastrophe, 2005 erlebte man das Gleiche in Philippsburg II. Die Liste der Beinahe-Unfälle lasse sich fortsetzen, bestätigte der Minister. Und auch aus diesem Grunde gebe es keine Alternative zu dem von der Vorgängerregierung gemeinsam mit den Energieerzeugern beschlossen Ausstieg aus der Atomenergie-Nutzung. Gabriel appellierte an die AKW-Betreiber, die alte Diskussion über eine Verlängerung von Laufzeiten nicht wieder aufleben zu lassen, ältere AKW schneller vom Netz zu nehmen und die garantierten Restlaufzeiten lieber auf modernere Kraftwerke zu übertragen, die bereits vom »Learning by doing« profitiert haben. Vor der Pressekonferenz hatte Gabriel am Vormittag auf der von Parteifreund Müntefering geleiteten Kabinettssitzung über den Vorfall in Forsmark und mögliche Folgen für die Nutzung der Atomenergie in Deutschland berichtet. Dabei spielten die von ihm angeforderten Berichte aus den für die Atomsicherheit mitverantwortlichen Ländern eine Rolle. Alle verantwortlichen Behörden hätten mitgeteilt, dass der in Forsmark als besonders gefährlich eingestufte Ausfall der Wechselrichter von zwei Notstromaggregaten in Deutschland nicht hätte erfolgen können. Sie hatten die Bedienungsmannschaft zur Untätigkeit gezwungen. Sie hätten so lange Zeit nicht in den überaus kritischen Zustand der Anlage eingreifen können. Eine Kernschmelze drohte. Hier zu Lande, so teilten die Landesressortminister mit, laufen die entsprechenden Reserveenergie-Anlagen mit Gleichstrom, Wechselrichter werden also nicht benötigen. Doch diese »Entwarnung« könne nur eine vorläufige sein, betonte der Bundesumweltminister vor der Presse, denn noch habe man aus Schweden keine detaillierte Aufklärung über die Ursachen des Zwischenfalls erhalten. Für gründliche Untersuchungen in Deutschland veranschlagte Gabriel weitere sechs Monate. Der Minister will dafür werben, dass das internationale INES-Meldewesen verbessert wird. Er sei zudem der Überzeugung, dass die Betreiber selbst ein eigenes Informationssystem aufbauen müssten Kritik übte Gabriel an der niedersächsischen Landesregierung, die sich in ihrem Bericht entgegen der Bitte des Bundes ausschließlich auf Angaben der Betreiber verlassen habe. Andere Länder, wie etwa Bayern oder Baden-Württemberg, hätten die Meinung unabhängiger Gutachter, beispielsweise des TÜV, zu Rate gezogen. Der Minister empfing sofort Kritik. »Gabriel ist naiv, wenn er alles so schluckt, was man ihm mundfertig hinlegt«, merkt die Umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion Eva Bulling-Schröter an. »Wenn AKW wirklich so sicher wären, wie behauptet wird, wären sie versichert. Doch dieses Risiko scheut jede Gesellschaft. Leider aus guten Gründen.«
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