Grauzone am Lebensende

Bundestag sucht ohne Fraktionszwang Position zur Sterbehilfe

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundestags-Abgeordnete haben sich jenseits von Fraktionsgrenzen zu einer Neuregelung der Sterbehilfe positioniert. In einer Plenardebatte sprachen sich viele für ein Verbot von Sterbehilfevereinen aus.

Es waren selbst erlebte Geschichten, die einige Abgeordnete an diesem Donnerstag im Bundestag erzählten, über Menschen, die unheilbar krank waren. LINKE-Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte sprach von »elender Quälerei in unzähligen Pflegeheimen«. Lisa Paus war den Tränen nahe, als sie von einem Schicksal aus ihrem Umfeld berichtete. »Es braucht eine Enttabuisierung der Sterbehilfe in Deutschland«, forderte die Grünen-Politikerin.

Nicht nur wegen der persönlichen Reden war es eine für den Bundestag ungewöhnliche Debatte. In der mehr als viereinhalb Stunden langen Diskussion zur »Sterbebegleitung« waren keine wütenden Zwischenrufe zu hören. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt noch nicht vor. Die Diskussion war als »Orientierung« der Abgeordneten gedacht.

Positionen im Bundestag

PARLAMENTARIERGRUPPE DER KOALITION: Eine Gruppe von Koalitionsabgeordneten um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) sowie die SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach will Todkranken die Möglichkeit zur ärztlich assistierten Selbsttötung geben. Sie nennen sieben Bedingungen für einen solchen ärztlich assistierten Suizid. Die Handlung müsse immer durch den Patienten selbst erfolgen (Tatherrschaft).

UNIONS-MEHRHEIT: Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) macht sich für ein umfassendes Sterbehilfeverbot stark. Er ist auch gegen ärztlich begleitete Selbsttötung. In der Palliativmedizin sei die »aktive Gabe von schmerzlindernden Mitteln zulässig, selbst wenn dabei eine lebensverkürzende Nebenfolge in Kauf genommen wird«. Gröhe und Kauder argumentieren ähnlich wie die Bundesärztekammer.

SPD-INTERNES KONZEPT: Die SPD-Politikerinnen Eva Högl und Kerstin Griese verfolgen einen »Weg der Mitte«. Sie wollen den Ärzten Freiraum in »ethischen Grenzsituationen« bewahren.

GRÜNEN-MEHRHEITSKONZEPT: Die Grünen-Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe wollen die Beihilfe nicht nur für Angehörige, sondern auch für nahestehende Menschen straflos lassen. Dazu zählen auch Ärzte, falls »deren Handeln Ausdruck eines engen Vertrauens- und Fürsorgeverhältnisses« ist.

KÜNAST-KONZEPT: Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast sieht grundsätzlich keinen rechtlichen Änderungsbedarf. Sie wendet sich ausdrücklich gegen ein Verbot von Sterbehilfevereinen, will diese aber streng regulieren. Auch einige Parlamentarier der Linksfraktion wie Petra Sitte oder Matthias Birkwald unterstützen dieses Konzept. dpa/nd

Einige Parlamentarier haben sich bereits in den vergangenen Wochen positioniert. Jenseits von Fraktionsgrenzen waren Papiere entstanden. Ein Autor ist Peter Hintze. Der CDU-Politiker betonte im Plenum, dass die Palliativmedizin bei Todkranken manchmal an Grenzen stoße. Er befürworte zwar den Schutz des Lebens, aber daraus dürfe nicht der Zwang zum Qualtod folgen, so Hintze. Der Christdemokrat hat sich in einer Gruppe organisiert, zu der auch Carola Reimann und Karl Lauterbach (beide SPD) zählen. Sie setzen sich dafür ein, dass ein Arzt unter bestimmten Bedingungen dem leidenden Sterbenden auf Wunsch ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen kann. Hierzu solle es eine zivilrechtliche Regelung geben. Hintze sieht die Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite.

Im Bundestag dürfte es aber nicht leicht sein, dieses Vorhaben durchzusetzen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte, er unterstütze die Position der deutschen Ärzteschaft, die den ärztlich unterstützten Suizid in ihrem Standesrecht ablehne. »Wir brauchen eine bessere Betreuung und Schmerzlinderung«, so Gröhe. Die entsprechende Forderung nach einem Ausbau der Palliativversorgung und der Hospizbewegung, also die medizinische und pflegerische Begleitung von Sterbenden, ist kein Streitpunkt im Parlament.

In der Debatte zeichnete sich ab, dass viele Parlamentarier Sterbehilfevereine verbieten wollen. »Suizid darf nicht als Dienstleistung angeboten werden«, sagte Gröhe. Ähnlich äußerte sich sein Fraktionskollege Michael Brand (CDU): »Einzelne, die geschäftsmäßig Suizidbeihilfe leisten, wollen wir aufhalten.« SPD-Mann Lauterbach monierte, dass Sterbehelfer oft Menschen in den Tod begleiteten, denen anders noch geholfen werden könnte.

Gegen ein Verbot von Sterbehilfevereinen wendet sich eine Gruppe von Parlamentariern um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte von der LINKEN. Sie wollen der Vereinsarbeit aber Grenzen setzen. Aus ihrer Sicht ist es nicht belegt, dass Sterbehilfevereine den Willen des zu Beratenden hin zu einer vorschnellen Entscheidung zum Suizid beeinflussen. »Warum sollen nicht auch anerkannte Vereine uneigennützig und kompetent Hilfestellung geben können«, sagte Sitte. Dignitas und Sterbehilfe Deutschland e. V. von Roger Kusch seien aber nicht das Angebot, das sie sich vorstelle. Rechtlich soll sich nach dem Willen der Künast-Gruppe bei der Sterbehilfe grundsätzlich nichts ändern. Aktive Sterbehilfe ist strafbar, der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen in bestimmten Fällen aber nicht. Ärzte bewegen sich oft in einer Grauzone. In manchen Bundesländern verbietet das Standesrecht Ärzten eine Beihilfe zum Suizid, in anderen nicht.

Der Bundestag will sich mit dem heiklen Thema Zeit lassen. Bis Ende Februar sollen Gesetzentwürfe vorliegen. Dann ist die erste Lesung im Parlament geplant. Ein Gesetz will der Bundestag in der zweiten Jahreshälfte 2015 verabschieden.

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