Mir ist das alles hier zu spooky

Matthias Dell über die letzte »Tatort«-Folge Ritter und Stark in Berlin

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Mutter der Toten im Berliner »Tatort: Vielleicht« betreibt eine Wäscherei, die Wäscherei liegt in der Ritterstraße – und das ist es dann: der Dank für 15 Jahre Arbeit. In 36 Fällen hat Dominic Raacke als Kommissar Till Ritter seit 1999 für den RBB (anfangs SFB) die Larve hingehalten, sechs mal mit Stefan Jürgens (als Robert Hellmann) und sehr lange mit Boris Aljinovic (als Sophisticated Stark). Vor einem Jahr hatte der RBB auf Auswechslung des Teams entschieden, was sich, womöglich, der spezifischen Betriebsamkeit in Sachen »Tatort« verdankt; dass man beim RBB das dringende Gefühl verspürte, auch mal wieder neue Schauspieler zu präsentieren, um damit Aufmerksamkeit in Form journalistischer Texte zu generieren, die – sich in der Praxis der Folgen schnell erledigende – Figurenentwürfe wie Gesetzesvorhaben referieren.

Unmöglich kann die Entscheidung etwas mit der Qualität der Folgen zu tun gehabt haben. Die wurde zum einen nämlich beinahe durchgehend verantwortet von Redakteurin Josephine Schröder-Zebralla – und wird es weiterhin. Und die war zum anderen seit der teils avangardistischen Roiter-Zorro-Zeit mit Winfried Glatzeder im visionär flachen Videobild nicht mehr so hoch wie zuletzt, als vor allem mit Stephan Wagner und Klaus Krämer zwei Autorenregisseure Eigensinn und Können bewiesen.

Man könnte also sogar Gründe finden, warum Dominic Raacke nicht amüsiert sein musste über den Beschluss, ausgedient zu haben und zu den Dreharbeiten für die letzte Folge seiner Ära nicht erst antrat. Und selbst wenn man Raackes Bockigkeit kindisch findet: 15 Jahre Senderrepräsentation zu würdigen in einem Straßennamen, der wie ein Kassiber aus dem Gefängnis in einem totalitären Regime geschmuggelt werden muss – das ist »unterste Schublade« (Rudi Völler).

Nicht nur menschlich, auch ästhetisch. Denn selbst wenn der »Tatort« eine Reihe ist, so lebt er doch von Momenten des Seriellen (was der »Polizeiruf« Rostock derzeit am besten beherrscht. Wie leicht wäre es gewesen, im Gespräch mit dem von der Arbeit zermürbten Stark mit der Dienststellenleiterin (Birge Schade) den Verweis auf den bereits ausgeschiedenen Ritter einzuflechten, zumal der in seiner letzten Folge über Schlaflosigkeit und Depressionen geklagt hatte! Zum Gottesdienst gehören nun einmal die Abkündigungen.

Ritter hat es also nie gegeben, in »Vielleicht« wird Soffy Stark umgeben von lauter jüngeren (Ernst Georg Schwills Weber ist schon länger wortlos entsorgt), nicht unsympathischen Einmal-Ermittlern (Laura Tonke, Christian Sengewald, Fabian Busch, Anjorka Strechel, Dimitrij Schaad). Im Büro drinnen ist es leer und still, kaum Bild, keine Schrift, was der Leisigkeit geschuldet ist, die den Stil von Klaus Krämer (Buch und Regie) ausmacht: die Inszenierung ist so aufgeräumt wie der Schreibtisch von Stark, der ein paar mal verdropst in die Kamera schauen darf. Draußen ist viel Schrift, Graffiti in Kreuzberg, der Kontrast, den die Leisigkeit erst hervorbringt. Gilt auch für den Grusel, der in die so sediert wirkenden Welt heftig einbricht: die Angst vor dem umgehenden Frauenmörder Teigler, den Niels Bormann so grausam spielt, dass man weiß, warum man froh ist, wenn er in anderen Kontexten seine Sanftheit ins Lustige varriiert.

Gänsehaut beim »Tatort«-Gucken ist so selten wie die Souveränität, die der Film lange Zeit verbreitet. Da kann man sich vorstellen, wie Krämer, weil alles so überzeugend angelegt ist, am Regler des Grusels nur noch zu drehen braucht: Teigler losjagen, das Opfer allein lassen, die Polizei in die Irre führen – und die Zuschauerin leidet arg. Deswegen ist es etwas merkwürdig, dass das Ende mit Soffy Starks stillem Anschuss so verschludert erzählt wirkt. Aber Trüde Brüün Thorvaldsen (Olsen Lise Risom) als Glaskugel auf zwei Beinen, die vor ihrem Zuviel an Wissen fliehen muss dahin, wo nichts passiert (dabei wäre das doch die ideale Polizeitechnologie: eine Frau, die die Verbrechen vorhersagen kann, bevor sie geschehen sind) – die ist eine tolle Figur.

Was das Schicksal von Stark angeht, dessen Überlebenschancen nach dem Anschuss als letztes gesagt Wort im Film erst den Titel motivieren, so werden wir Gewissheit irgendwann haben. Vermutlich aber eher in einem kleinen Extra-Film, der wie einst beim angeschossenen Münchner Kommissar Leitmayr wegen des Zuschauerinteresses gedreht werden muss, als in der nächsten, ersten Folge des neuen Teams im März.

Ein Satz, der Helmut Schmidt Helmut Schmidt sein lässt:
»Ich habe eine Vision.«

Eine Frage von zeitloser Schönheit:
»Kann ich bei ihnen dann ein Praktikum machen?«

Eine Zeitangabe für Cowboys:
»Noch vor der Dunkelheit werde ich meinen Dienst quittieren.«

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