Belgrad zwischen EU und Moskau

Serbien möchte nach »Europa«, aber weiter gute Beziehungen zu Russland

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundeskanzlerin Merkel warnt vor der Ausweitung der russischen Interessensphäre auf Serbien. Dabei pflegt der EU-Anwärter schon seit Jahren bewusst sehr enge Bande zu Moskau.

Das Rad der Zeit scheint beim EU-Anwärter Serbien zurückgedreht. In Belgrad paradieren wieder die Anhänger des Ultranationalisten Vojislav Seselj mit Konterfeis von Russlands Präsident Wladimir Putin. Am Wochenende weihte der Moskauer Patriarch Kyrill in Serbiens Hauptstadt gar ein Denkmal zu Ehren des russischen Zaren Nikolaus I. ein. Die Geschichte und die Kultur verbänden die beiden Nationen, erklärte der Kirchenfürst. In Serbien fühle sich »jeder Russe zu Hause«.

Jenseits der russischen Landesgrenzen wird Putin wegen seiner Rolle in der Ukraine-Krise fast in ganz Europa als Kriegstreiber gegeißelt. Doch zumindest beim EU-Anwärter Serbien kann sich der Kremlchef großer Popularität sicher sein. In mehr als einem Dutzend Städten und Gemeinden wurde er bereits zum Ehrenbürger erklärt.

Zu den Wahlen der Separatisten in Donezk und Lugansk reisten zwei Abgeordnete der in Belgrad regierenden Serbischen Fortschrittspartei als Beobachter. Wegen russisch- serbischer Militärmanöver und des Ausbau des bilateralen Zentrums für Katastrophenschutz in der südserbischen Großstadt Niš behaupten westliche Kritiker Serbiens, es handele sich dabei um eine verkappte Militärbasis Moskaus. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel versäumte nicht, ihre Besorgnis über die vermeintlich von Russland versuchte Ausweitung seiner Interessensphäre auf dem Westbalkan auszudrücken.

Mit dem Hinweis auf die Waffenbrüderschaft in den beiden Weltkriegen und Moskaus diplomatische Unterstützung im Streit um Kosovo begründet EU-Anwärter Serbien seine »besonderen Beziehungen« zu Russland. Jugoslawiens langjähriger Präsident Josip Broz Tito (1892 - 1980) hatte nach dem zweiten Weltkrieg mit Stalin gebrochen. Jugoslawien gehörte deshalb weder dem westlichen noch dem östlichen Militärbündnis in Europa an.

Zudem ist es erst 15 Jahre her, dass auf Serbien NATO-Bomben prasselten. Diese Erinnerung an die NATO lässt viele Serben in Russland einen natürlichen Verbündeten sehen. Auch Umfragen vermitteln den Eindruck, dass die Serben eher Russland als der EU zuneigen. Doch auch die derzeitigen Regierungsparteien erklären sich für eine EU-Mitgliedschaft und gewannen so auch Wahlen. Vor allem wegen der großen Zahl von Arbeitsemigranten ist der Balkanstaat im Alltag schon seit Jahrzehnten in Richtung EU orientiert. Wirtschaftlich spielt Russland für Serbien eine untergeordnete Rolle. Belgrad ist zwar abhängig von russischen Gaslieferungen. Die Ausfuhren nach Russland machen jedoch lediglich 7,3 Prozent von Serbiens Gesamtexport aus. Auch bei den ausländischen Investoren in Serbien belegt Russland nur den siebten Rang - hinter EU-Staaten und den USA.

Bislang hat es Belgrad strikt abgelehnt, sich den Wirtschafts- und anderen Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Das dürfte nicht nur auf innenpolitische Empfindlichkeiten zurückzuführen sein. Die »russische Karte« ist für Belgrad auch Druckmittel beim Verlangen nach einer rascheren EU-Mitgliedschaft. Serbien sei »weder ein kleines Amerika noch ein kleines Russland«, sondern entscheide selbst über sein Schicksal, wird Premier Aleksander Vucic zitiert.

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