Klinikärzte fordern weniger Bereitschaftsdienste

Marburger Bund stellt Tarifforderungen vor / Arbeitgeber sind die Kosten zu hoch

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr Lohn und weniger Bereitschaftsdienste: Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund stellte am Mittwoch ihre Forderungen für die kommende Tarifrunde vor.

Mit der Forderung nach 5,4 Prozent mehr Gehalt und höchstens zwei Bereitschaftsdiensten an den Wochenenden geht die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) in die Tarifrunde für die 55 000 Ärzte und Ärztinnen an den rund 600 kommunalen Kliniken. »Die dauerhafte Überlastung der Klinikärzte muss ein Ende haben, auch im Sinne der Patienten«, erklärte der MB-Vorsitzende Rudolf Henke am Mittwoch in Berlin.

Die Beschränkung der Wochenenddienste soll die Möglichkeiten der Ärztinnen und Ärzte zur »sozialen Teilhabe« und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, ändere aber wenig an der hohen Gesamtbelastung, räumte der stellvertretende MB-Vorsitzende Andreas Botzlar ein. Eine generelle Beschränkung der Bereitschaftsdienste, die laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von 2003 als Arbeitszeit zu werten sind, strebt die Gewerkschaft allerdings nicht an. Angesichts der dramatischen Personallage - in den deutschen Kliniken sind mindestens 4000 Stellen unbesetzt - sei dies derzeit nicht realistisch, so Botzlar.

Laut einer MB-Umfrage arbeitet jeder zweite Klinikarzt wöchentlich einschließlich Bereitschaftsdiensten durchschnittlich 49 bis 59 Stunden, jeder vierte sogar bis zu 79 Stunden. Ungefähr 20 Prozent gaben an, dass die Überstunden weder vergütet noch mit Freizeit ausgeglichen werden. Möglich werden derartige, eigentlich gesetzwidrige Arbeitszeiten durch ein Schlupfloch im Arbeitszeitrecht. Mit sogenannten Opt-Out-Klauseln kann ein Arzt »freiwillig« längere Arbeitszeiten in Kauf nehmen, wenn diese binnen eines halben Jahres ausgeglichen werden. Die Zustimmung hierzu ist in den meisten Kliniken allerdings Einstellungsvoraussetzung.

Da sich der MB nicht in der Lage sieht, die laut eigenen Erhebungen auch gesundheitlich bedenkliche Arbeitsbelastung vieler Klinikärzte durchgreifend zu verringern, sollen Bereitschaftsdienste wenigstens deutlich besser bezahlt werden.

Seine Tarifforderungen hält der MB sowohl im Rahmen der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung für angemessen als auch tragbar für die Kliniken. Seit 2007 seien deren Gesamtausgaben pro Jahr um durchschnittlich 3,4 Prozent gestiegen, die Gehälter aber nur um 2,2 Prozent. Die von vielen Einrichtungen beschworenen finanziellen Probleme resultierten vielmehr daraus, dass für Personalausgaben eingeplante Mittel zum Stopfen von Löchern bei den Investitionen verwendet worden seien. Ärzte und andere Klinikmitarbeiter könnten aber nicht zu Sündenböcken für eine unzureichende finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser gemacht werden, so Henke.

Die Arbeitgeber halten die Forderungen für nicht akzeptabel. »Das Forderungspaket summiert sich auf ein Kostenvolumen von über 460 Millionen Euro«, kritisierte Manfred Hoffmann, Hauptgeschäftsführer der VKA in einer Stellungsnahme. Dies entspreche einer Steigerung von rund neun Prozent. »Das ist nicht darstellbar.« Hoffmann verwies darauf, dass fast jedes zweite Krankenhaus rote Zahlen schreibe. »In einer solchen Situation können wir nicht für eine Berufsgruppe überdurchschnittliche Lohnerhöhungen vereinbaren.«

Auch Einschränkungen des Bereitschaftsdienstes an Wochenenden wiesen die Arbeitgeber zurück. Die Kliniken bräuchten Verlässlichkeit. Es sei »nicht akzeptabel, wenn nach jeder Tarifrunde die Schichtpläne und Arbeitszeiten in den Abteilungen neu organisiert werden müssen«, erklärte der VKA-Chef.

Die Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände beginnen am 18. Dezember in Düsseldorf. Die Laufzeit des bisherigen Tarifvertrages endet am 30. November.

Der Marburger Bund äußerste sich am Mittwoch auch zu dem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit. Man habe sich 2006 das Recht erkämpft, berufsspezifische Tarifverträge für Ärzte abzuschließen und dieses Recht seitdem erfolgreich und verantwortungsbewusst genutzt. Man wehre sich daher mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Versuche, seiner Gewerkschaft die Tariffähigkeit zu nehmen. Henke hatte bereits mehrfach angekündigt, gegen ein mögliches Tarifeinheitsgesetz vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal