Ein unermüdlicher Aktivist

Christian Specht will die Politik nicht den Jüngeren überlassen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.
Philosophieren ist nicht seine Spezialität, er will Dirigent werden. Christian Specht setzt sich auf fast allen Ebenen für die Rechte von Behinderten ein.

»Manchmal denke ich, dass die Welt untergeht«, sagt Christian Specht. Eine große Krise, alles sei vorbei. Doch gleich relativiert er wieder. Das sei nur »so’n Gedanke«, eigentlich lasse er sich am liebsten einfach überraschen, was die Zukunft bringt. Lebt in den Tag, schnibbelt Alltagsobjekte aus Pappkartons, trinkt Kaffee und engagiert sich für eine bessere Welt. Christian Specht sitzt zurückgelehnt in der taz-Teeküche. Zeitweise war er Mitglied bei fünf Parteien gleichzeitig und auf so gut wie jeder Demo mit Fahne (PDS oder Grüne) oder Halstuch (FDJ oder Neues Forum) präsent. Aber wie diese Welt aussehen soll, für die Christian kämpft, das scheint ihn nicht besonders zu interessieren. Philosophieren ist nicht seine Spezialität. Lieber setzt er sich für klar umrissene Projekte ein. Vielleicht daher seine Vorliebe für Papp-Schnitzereien.

Christian Specht ist in Berlin geboren. 1969. Bei seiner Geburt bekam er zu wenig Sauerstoff. Schreiben und Lesen fällt ihm schwer. Sein E-Mail-Postfach checke regelmäßig eine Mitarbeiterin der taz-Stiftung, erzählt er, er ruft dann zurück. Auch wenn er einen seiner vielen Protestbriefe an Politiker schreibt, braucht er Hilfe. Die findet er auch in der taz, wo er seit 1987 einen eigenen Schreibtisch im Konferenzraum hat.

Zuletzt hat Christian Specht einen Brief an Bürgermeister in spe Michael Müller geschrieben. Im rbb Rundfunkrat solle es doch bitte einen Behindertenvertreter geben, so sein Anliegen. Für dieses Anliegen hat er auch eine Unterschriftenliste dabei. Aber eigentlich wolle er gerade ein Neuköllner Kiez-Radio gründen. »In Kreuzberg, in Friedrichshain und sogar in Prenzlauer Berg gibt es Radios, da möchte ich auch eins in Neukölln machen«, so Christian. Er verschickte eine Presseerklärung, doch noch ist vieles unklar. Kein Studio, keine Technik und eine Gruppe von Mitstreitern gibt es auch noch nicht. Eigentlich gibt es bisher nur seine Idee und eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung davon, wie es weitergeht. »Ich möchte ein Treffen machen und dann Leute einladen«, sagt Christian, während er einen neuen Kaffee holt und sich zurück aufs rote Sofa plumpsen lässt. »Mein Lieblingsplatz«, wie er sagt. Christian liebt das Radio, vehement hat er gegen die Abschaltung von Radio Multikulti vor fünf Jahren protestiert. »Ich habe gesagt, sie sollen nicht den Mut verlieren«.

Bereits Anfang der 1990er setzte er sich für den Erhalt des legendären Berliner Radio 100 ein. »Viele haben damals gespendet, aber ich weiß nicht, was mit dem Geld passiert ist«. Dann fällt ihm noch etwas Konkretes ein zu dem zu gründenden Neuköllner Kiez-Radio: »Alle Leute sollen mitentscheiden können und Behinderte sollen mitmachen«.

Angesprochen darauf, wie er zu einem so politischen Menschen geworden sei, sagt Christian: »Ich war schon immer politisch«. Leider werde man aber nicht immer ernst genommen als Behinderter. »Die Leute sind oft genervt, wenn ich sie auf bestimmte Sachen anspreche.« Gerade sei er deswegen in gar keiner Partei mehr. »Die haben mir keine Unterstützung gegeben im Behindertenbeirat. Ich denke manchmal, was wäre, wenn ich eine Behindertenpartei gründen würde?« Er möchte Berührungsängste zwischen Behinderten und Nichtbehinderten abbauen. »Behinderung kann jeden treffen, es muss nur ein Unfall sein«. Auch die SAV, Marx21 oder die Interventionistische Linke müssten sich mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen, so Christian.

Mit seinen 45 Jahren ist Christian Specht ein Senior unter den politischen Aktivisten. Viele, mit denen er früher auf Demos gewesen war, sähe er mittlerweile nur noch selten. So habe Michael Kronawitter, lange Zeit so etwas wie Sprecher der Autonomen und der Antifa, mittlerweile Kinder, andere wohnen auf dem Land in Brandenburg. »Freke Over sehe ich nur noch selten«. Für ihn komme das nicht infrage. »Mir haben sie gesagt, das müssen jetzt die Jungen machen. Aber das glaube ich nicht. Ich mache weiter!« Und dann fügt er hinzu: »Vielleicht mache ich auch mal einen Malworkshop. Außerdem möchte ich Dirigent werden«. Warum? »Da kann man alles unter Kontrolle haben.«

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