Warum zelten die denn da?

Der Comiczeichner Findus und der Historiker Torsten Bewernitz erzählen in einem Sachcomic pointiert und witzig von Krise und Revolten

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Karl Marx und August Hayek, Bauernrevolte, Schuldenkrise und Dritter Weg - die »Kleine Geschichte der Krisenrevolten« bringt den Lesern in Wort und Bild Personen, Ereignisse und Theorien nahe.

Seit Beginn der Finanzkrise im Herbst 2007 und den weltweiten Protesten vom Arabischen Frühling bis hin zu Occupy gibt es eine Schwemme an Büchern zur kapitalistischen Systemkrise in all ihren Facetten. Eine wirklich gelungene Übersicht verschiedener Krisentheorien samt einer Geschichte der dazugehörigen Revolten bietet ein Comic des Zeichners Findus und des Historikers Torsten Bewernitz. Die »Kleine Geschichte der Krisenrevolten - ein schwarz-roter Leitfaden« lässt wichtige Personen der Wirtschafts- und Protestgeschichte zu Wort kommen. In dem kurzweilig geschriebenen Sachbuch geben sich Karl Marx, der neoliberale Theoretiker August Hayek und der revolutionäre Zapatist Subcomandante Marcos die Klinke in die Hand. Es fächert ein breites Panorama der Krisen und Proteste von der frühen Neuzeit bis heute auf - witzig, inhaltlich substanziell und vor allem großartig gezeichnet.

Die Rahmenhandlung bildet die Unterhaltung zweier Mitarbeiter eines Callcenters, die in der Pause vor der Tür des Unternehmens stehen, in dem sie malochen, und feststellen, dass vor dem Gebäude Occupy-Aktivisten Zelte aufgebaut haben. Wie ist das eigentlich mit der Krise? Wer ist davon betroffen? Wie kann man sich wehren? Und woher kommt das ganze kapitalistische Dilemma eigentlich? Was in anderen Büchern oft recht trocken als historischer Abriss präsentiert wird, ist hier eng mit der Gegenwart der prekär beschäftigten Callcenter-Mitarbeiter verknüpft. Dabei bieten Findus und Bewernitz jede Menge Zahlenmaterial zur Einkommensschere in Europa, zu Lohnarbeit und Preissteigerungen. In Exkursen werden die Politik des IWF wie der EZB, aber auch das Funktionieren des Weltmarktes und neoliberale Sozialreformen wie Hartz IV und EU-Spardiktate erklärt.

Beachtlich ist dabei, wie gut die Autoren in dem schmalen Buch auf den Punkt kommen und sich nicht in der Breite der Themen verlieren. So sieht man hier Angela Merkel als Exportweltmeisterin mit einer Medaille um den Hals »We are the champions!« schreien, während auf der nächsten Seite eine Angestellte im Griff der Austeritätspolitik kurz vor dem Ersaufen steht. Beim Weiterblättern landet man bei einer Gruppe Demonstranten mit einem Transparent auf dem »Klassenkampf« steht und wieder einige Seiten später erklärt Billy Bragg die US-Krise: »Dass wir jetzt unter der Finanzkrise leiden, liegt also daran, dass es in den USA de facto keine Gewerkschaft gibt.«

Der Band illustriert die vielfältigen Bewegungen gegen die Logik des Kapitals von den Bauernaufständen über die Hungerrevolten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Proteste der 68er, die Streiks der 70er Jahre bis hin zu den Aufständen der Prekären in den französischen Banlieues 2005 und in London 2011 sowie den aktuellen Arbeitskämpfen in China und der Arabellion. Am Ende verweisen die Autoren noch auf die Lektüre, die ihrem Buch zugrunde liegt und zum Weiterlesen einlädt. Dazu gehören die Zeitschriften »Wildcat«, »Prokla« und »Gegenstandpunkt«, der Historiker Karl Heinz Roth, aber natürlich auch Rosa Luxemburg, Karl Marx und Subcomandante Marcos.

Findus und Torsten Bewernitz: »Kleine Geschichte der Krisenrevolten«, Unrast-Verlag, 92 Seiten, 9,90 Euro.

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