»Es geht in die rechte Richtung«

Bewegungsforscher Dieter Rucht sieht noch keine neue soziale Bewegung von rechts - aber ein neuartiges Tummelfeld, das Demokraten nicht ignorieren dürfen

  • Lesedauer: 4 Min.

In Deutschland scheint mit der AfD erstmals seit Jahrzehnten eine Partei rechts der Union längerfristige parlamentarische Erfolge zu erzielen. Wir verzeichnen Phänomene wie die Montagsmahnwachen, Proteste gegen Flüchtlinge oder gegen schwule und lesbische Emanzipation. Bücher von Sarrazin, Ulfkotte und Pirinçci gehen weg wie geschnitten Brot. Erfasst wird auch die Popularkultur, man denke nur an Xavier Naidoos Ausflüge ins Verschwörungstheoretische. Auch Hooligans spielen sich als Ordnungsmacht auf. Kann man all diese Akteure auf einen gemeinsamen Nenner bringen?

Nicht wirklich. Es gibt Querverbindungen zwischen den einzelnen Gruppierungen, es gibt gemeinsame Merkmale, so die Ablehnung der etablierten Politik und der Mainstreammedien, die als verlogen empfunden werden. Ich mache auch einen Hang ins Ungefähre aus, zu sehr vagen Schlagworten, die Leute anziehen sollen. Da entstehen Projektionsflächen, in die Einzelne alles Mögliche hineininterpretieren können. Es gibt aber keine belastbare Gemeinsamkeit.

Aber sind alle diese Gruppen nicht eher als rechts einzuordnen?

Natürlich, es geht in die rechte Richtung. Gleichzeitig weichen diese Gruppierungen aber gerne der Rechts-links-Einordnung aus. Sie propagieren Querfrontstrategien oder behaupten, diese politischen Klassifizierungen seien für sie kein Orientierungsmerkmal. Man meint, so zusätzliche Leute anziehen zu können, die sich als nicht politisch verstehen, will sie aus der Reserve locken.

Wenn man die alte Friedensbewegung mit der neuen Montagsbewegung gegen Krieg vergleicht: Was sind die Gemeinsamkeiten?

Die Unterschiede sind recht markant. Die alte Friedensbewegung verortete sich klar im linken, pazifistischen und auch christlichen Spektrum. Es gab ein klares Bekenntnis zu demokratischen Werten und verbindliche Strukturen. Die neuen Montagsproteste finden in einem losen Rahmen statt, die Teilnehmer sind politisch und sozial heterogen, es bilden sich allenfalls lose Netzwerke um einzelne Galionsfiguren. Viele Protestierende wollen sich nicht in feste Organisationszusammenhänge begeben, ihnen sind medial präsente Führungsfiguren lieber als demokratisch legitimierte Sprecher. In der Montagsbewegung spielen die Neuen Medien eine wichtige Rolle, deren emanzipatorisches Potenzial überschätzt wurde. Auch die Rechten gehen damit kompetent um, können sich schneller verabreden und flexibler agieren.

Hatten nicht auch die »Neuen Sozialen Bewegungen« im Westdeutschland der 1970er und 1980er Jahre ihre extrem Rechten? Menschen, die später auch bei den Grünen kurzfristig ein-, auf- und dann wieder ausstiegen wie etwa der bräunliche Biobauer Baldur Springmann?

Ja, aber es gab dort kaum offene Flanken nach rechts. In der Ökologiebewegung agierten kleine rechte Gruppierungen, aber das blieb eine Randerscheinung. Manfred Röder, Rechtsterrorist und Rechtsanwalt, versuchte in den Achtzigern, in der Anti-AKW-Bewegung Fuß zu fassen. Aber sobald diese Leute erkannt wurden, hat man sie konsequent herausgedrängt.

Einer der wichtigsten Stichwortgeber der Neurechten ist der Journalist Udo Ulfkotte, von dem sich unter Berufung auf das Landgericht Köln sagen lässt, er sei Mitte der 1990er-Jahre vom Shell-Konzern »geschmiert« worden und habe sich »für Shell prostituiert«. Nun schrieb ausgerechnet Ulfkotte das Buch »Gekaufte Journalisten«. Es wurde zum Bestseller.

Auch er hat offensichtlich den Nerv einer bestimmten Klientel getroffen. Viele suchen Autoritäten, die das eigene Unsortierte auf den Begriff bringen. Sie können mit Ambivalenzen, mit einem »Einerseits, andererseits« nicht umgehen. Was ihnen nicht ins Bild passt, verdrängen sie. Meinungen werden als Wahrheit deklariert. So erklärt sich auch der Hang zu Verschwörungstheorien.

Entsteht gerade eine soziale Bewegung von rechts?

Nein. Eher würde ich von einem unübersichtlichen Tummelfeld sprechen. Die Rechte ist - wie die Linke ja auch - traditionell zersplittert. Es findet eine permanente Umgruppierung statt.

Für wie gefährlich halten Sie dieses Tummelfeld?

Wenn es in diesem Rahmen bleibt, dann ist es nicht allzu gefährlich, von rechtsradikalen Gruppierungen abgesehen. Denn auf der linken Seite der Barrikade finden sich ja weitaus mehr Teilnehmer als auf der rechten. Die Rechten sind allerdings heute stärker und selbstbewusster als in den 1990ern, als man bestimmte Meinungen am Stammtisch, aber nicht offen auf der Straße äußerte. Die Demokraten müssen weiter dagegen halten.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.