Vom Sonnenblumenhaus zur Semperoper

Es bleibt viel zu tun im Kampf für Flüchtlingsrechte - doch fast dringlicher scheint die Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Lichtenhagen kommt wieder« - die Parole, von Güstrower Neonazis in der Nacht zum »Führergeburtstag« am 20. April 2013 an des Bürgermeisters Hauswand geschmiert, war Programm. Seit trotz Todesgrenzen und Drittstaatenregel wieder Flüchtlinge kommen, seit Europas Freizügigkeit nicht nur für deutsche Waren, sondern auch nicht-deutsche Menschen gilt, arbeiten Nazis an einem Revival jener Pogromstimmung, die sie für »Volkstum« halten.

Die Flüchtlingsjagden der frühen 1990er waren weniger »authentisch«, als die Rechten wünschten. Begleitet und herausgekitzelt wurde die Stimmung von einer Kampagne der bürgerlichen Rechten gegen das Asylgrundrecht, die vor 1989 eingesetzt hatte. Staatliche Stellen ließen die Lage - gerade in Rostock - durch Ressourcenverknappung eskalieren, während die öffentlich-rechtlichen Massenmedien erschreckend indifferent berichteten und namentlich »Bild« mit Hetzgeschichten hervortrat.

Diese Rahmenbedingungen haben sich verändert. Zwar lässt sich noch immer sagen, dass Bund und Länder örtliche Konflikte schüren, indem sie den ohnehin die Schuldenbremse bezahlenden Kommunen nur einen Bruchteil der Kosten für Flüchtlingsunterbringung erstatten. So entstehen Situationen, in denen, wer böswillig genug ist, kommunale Jugendarbeit gegen Asylbewerberunterkünfte aufrechnen kann. Was aber unterbleibt, ist die damals so atemberaubende Ratifizierung des vermeintlichen Volkszorns durch die offizielle Politik. Selbst die CSU wird sich nach ihrer Niederlage bei der Europawahl gut überlegen, ob sie noch einmal gegen »Armutszuwanderer« wahlkämpfen möchte.

Stark verändert hat sich auch die Berichterstattung der seriösen, besonders der öffentlich-rechtlichen Medien. Oft ist ihr ein schlechtes Gewissen anzumerken, Flüchtlingsaktivisten sind heute Bambikandidaten, offen dämonisiert werden allenfalls »Schlepperbanden«. Und selbst der Springerboulevard klingt nur noch vereinzelt nach 1992. Unrühmlich ragt dabei die Dresdner Ausgabe hervor, die im Sommer mit der erfundenen Horrorgeschichte aufwartete, das Rote Kreuz in Bautzen habe seine Sanitäter »aus Angst vor Attacken im Asyl-Hotel« mit Schutzwesten ausgestattet - bis heute steht der von Lokaljournalisten widerlegte Bericht im Internet.

Vor allem aber gibt es etwas, was Anfang der 1990er Jahre fast vollständig fehlte: eine gutwillige, professionell geschulte Lobby für das beschnittene Grundrecht, die regelrechte Modelle zum Umgang mit Ressentiments und organisierter Hetze entwickelt hat. Ulf Bünermann von der »Mobilen Beratung gegen Rechtextremismus« etwa empfiehlt eine Doppelstrategie aus Verständnis für »Bedenken und Fragen« und dem »klaren Benennen« von Rassismus, das Herstellen von Kontakten zwischen Flüchtlingen und Anwohnern, frühzeitige Information der Anwohner sowie gut vorbereitete »Willkommensinitiativen«. Das klingt mühsam und unspektakulär. Doch ist, trotz beinahe täglicher Aufmärsche, nicht zu übersehen, dass die Hetzer und Spalter oft erfolglos bleiben.

Nein: Trotz aller Kampagnen, Ausreißer und Stellungskämpfe riecht es nicht nach »Lichtenhagen« oder »Sonnenblumenhaus« im Deutschland des Jahres 2014. Es riecht nach »Semperoper«. Dort endet nun der anwachsende Marsch »Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«, der in Sachsens Hauptstadt seit Wochen Furore macht und dabei ist, zur Massenbewegung zu werden.

Dieser Aufmarsch baut auf genau die Gemengelage aus populärem Ressentiment, Staatspolitik und Mediensensationalismus, die schon vor zwanzig Jahren zum Brandsatz geriet. Die Staaten des Westens führen nun bald seit 15 Jahren Krieg gegen den »islamistischen« oder »islamischen« Terror - wer nimmt das schon so genau - und hat Raum für das geschaffen, gegen das man zu Felde zieht. Zunehmend erreicht dieser Krieg das Innere; nicht einmal der politische Entzug von Pässen oder das Reiserecht ist noch tabu. Der Firnis des Korrekten in den offiziösen Medien wird diesbezüglich dünner; ohnehin haben diese an Glaubwürdigkeit verloren und sind der Konkurrenz von neuen Tummelplätzen ausgesetzt. Nicht umsonst klingt »Pegida« wie ein Schlagwort eines Kurznachrichtendienstes.

Vor allem aber fehlt eine entschlossene, geschulte Lobby. Es fehlen Vermittler und Mäßiger, Warner und Mahner bis weit in die gesellschaftliche Linke. Wer Religionskritik mit Antirassismus verrechnet, befeuert eine Alternative, auf deren einer Seite Denis Cuspert steht, der Ex-Rapper im Krieg des IS.

Und auf der anderen Seite taucht irgendwann einer wie der auf, nach dessen Sprache »Pegida« schon heute klingt: Anders Behring Breivik.

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