Amtssprachen, hereinspaziert!

Martin Leidenfrost über die grammatische Selbstbehauptung in Montenegro und Schottland

  • Lesedauer: 4 Min.

Unser Friedensprojekt Europa, das wir zunehmend als Garten schlummernder Tretminen kennenlernen, hat es in diesem Jahrhundert auf gerade einmal zwei geordnete Scheidungsverfahren gebracht: 2006 stimmte Montenegro mit 55,5 Prozent für die Unabhängigkeit, 2014 Schottland mit 55,3 Prozent dagegen. Ich wollte den montenegrinischen und den schottischen Weg vergleichen. Da in beiden Ländern an der Schaffung oder Aufwertung einer Art von Nationalsprache gearbeitet wurde, ging ich den Vergleich über die Sprachprojekte Montenegrinisch und Scots an.

Ich ersuchte die jeweiligen Sprachinstitute um einen Termin, das »Institut za crnogorski jezik« und das »Centre for the Scots Leid«. Der schottische Direktor erwies sich als Teilzeitkraft ohne Büro. Er mailte mir: »Die Atmosphäre unseres Zentrums schnuppern Sie am besten auf unserer Webseite.« Die Montenegriner antworteten gar nicht. Das ist normal, auf dem Balkan werden E-Mails als Teufelszeug betrachtet.

Ich ging einfach hin. Ich stand auf einem Seitengang der Uni Podgorica, zwischen meterhohen Stapeln druckfrischer Bücher, und klopfte. Belohnt wurde ich mit einer engagierten Privatvorlesung und der Ansage: »Wir haben bereits 60 Publikationen herausgebracht. Nehmen Sie sich, was Sie möchten!« Mein bücherverrücktes Herz schlug mir bis in den Hals hinauf. Vergesst das Internet, ich schleppte selig einen halben Laufmeter Montenegrinistika zum Wagen!

Die Amtssprache Montenegrinisch wurde erst 2010 eingeführt. Eine kroatische Freundin, die zehn Minuten in meiner Montenegrinisch-Grammatik las, konnte in gerade einmal fünf Wörtern leichte Unterschiede zum Kroatischen entdecken. Meine Einstiegsfrage lautete daher: »Gibt es Montenegrinisch?« Die PR-Beauftragte sagte: »Klar gibt es das, es gibt das Institut.«

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter schimpfte auf den »kulturellen Kolonialismus Serbiens«. Er hob die nur im Montenegrinischen vorkommenden Phoneme ś und ź hervor und gebrauchte, so oft er konnte, das Wort für »Norden«. Er sprach »śever« mit einem weich geschliffenen »sch« aus, das in dieser Galaxie ihresgleichen sucht. Dass montenegrinische Zeitungen die neuen Grapheme nicht verwenden, ärgerte ihn. Zum Abschied schenkte er mir den »Bergkranz« des Dichterfürstbischofs in rotem Edelleder. Befällt mich zu Hause der Blues, nehme ich den Njegoś aus der Kassette, und daran schnüffelnd schießt mir die Lebenslust ein.

Montenegro und Schottland haben wenig Berührungspunkte, außer dass sich unter den wenigen Büchern in der Edinburgher Zentrale der Schottischen Nationalpartei auffallend viele Bildbände über Montenegro finden. Das sei aber reiner Zufall, versicherte mir der Büroversteher.

Für die germanische Sprache Scots stieg ich in den Keller eines Nebengebäudes der Edinburgher Universität hinab. Alles reife Damen, fünf Vollzeit, fünf Teilzeit. Da der Boden des dreihundertjährigen Kellers stark gewellt war, hielten die lautlos auf rollenden Bürostühlen arbeitenden Frauen ihre Kaffeetassen fest im Griff. Eine mit historischen Schriften gefüllte Höhle nannten sie »Bunker«.

Ich bekam von den Schottinnen ein kleines Taschenbuch geschenkt, eine Grammatik. Die Autorin saß mir gegenüber, von einer Unabhängigkeit Schottlands hätte sie sich keinen Schub versprochen. »Scots ist kein Wahlschlager. Schottische Politiker fragen mich höchstens, ob ich sie mit Schimpfworten auf Scots versorgen kann.« Es gebe mehr Scots-Sprecher als die anderthalb Millionen, die sich in der Volkszählung 2011 dazu bekannt hatten. Die Schotten seien aber »von furchtsamem Stolz und furchtsamer Scham« erfüllt. »In England gibt es keine Animositäten gegen Scots. Es war die englische Regierung«, versprach sich die Autorin, »die Scots als europäische Regionalsprache durchgesetzt hat.« Sie meinte natürlich die britische Regierung.

Wie die Montenegriner gab sie in ihrem Online-Wörterbuch »Scottish Language Dictionaries« reichlich regionale Varianten an. »Das Wort Taffeta (deutsch: Taft) hat fast 100 Schreibweisen.« - »Übertreiben Sie da nicht?« - »No.« Seit dem laufenden Schuljahr ist Scots Wahlfach in Schulen, »davon hätten wir vor zehn Jahren nicht zu träumen gewagt. Vier Lehrer sind aber doch etwas wenig.« Nach dem Gespräch setzte ich mich in den angrenzenden Park »Meadows«. Die »Modren Scots Grammar« las sich wie leicht durcheinandergepurzeltes Englisch. Ein Beispiel: »This text was very hard tae read.«

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