Das Kreuz mit dem Rassismus

Anhaltende Proteste gegen Polizeigewalt in den USA / Obama: Diskriminierung in der Gesellschaft tief verwurzelt

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
In einem Fernsehinterview hat Präsident Barack Obama den tief in der US-Gesellschaft verwurzelten Rassismus angeprangert. Die landesweiten Proteste gegen Polizeigewalt gehen derweil weiter.

Eine Schnellstraße zwischen den Städten Berkeley und Oakland blockiert, gleich an mehreren Orten in Kalifornien gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten, die Tränengas und Gummigeschosse einsetzen, eingeworfene Schaufenster, beschädigte Autos, erneute Festnahmen - die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA gingen auch am Wochenende und am Montag weiter, wie die Zeitungen »San Francisco Chronicle« und »San Jose Mercury News« berichten. Seit etlichen Tagen wird nun schon auf den Straßen des Landes Gerechtigkeit für Schwarze gefordert, die von weißen Polizisten getötet wurden. In New York legten sich Demonstranten wieder zum »Die-In« auf den Boden der Wartehalle in der Grand Central Station, um mit diesem symbolischen Akt an die letzten Minuten von Eric Garner zu erinnern, der im Würgegriff der Polizei gestorben ist.

Die Rufe nach einer Justiz- und Polizeireform in den Vereinigten werden lauter. »Lasst uns alles tun, um weitere derartige Situationen zu verhindern«, appellierte etwa der Aktivist Kevin Powell am Wochenende in seiner Trauerrede für den im November erschossenen 28-jährigen Akai Gurley. Der tragische Vorfall ereignete sich am 20. November: Gurley ging mit seiner Freundin in einem dunklen Treppenhaus nach unten, weil der Fahrstuhl nicht funktionierte. Der junge Polizist Peter Liang zog seine Waffe und tötete ihn, ohne dass sich der Vater einer kleinen Tochter verdächtig verhalten hätte, wie der Schütze selbst einräumt.

»Das ist modernes Lynchen, immer und immer wieder«, so Powell in einer Baptistenkirche im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Deutliche Worte, die viele Afroamerikaner von »ihrem« Präsidenten vermissen. Doch Barack Obama hat sich nie als Lobbyist des schwarzen Amerikas im Weißen Haus verstanden.

Zumindest wurde er jetzt in einem Fernsehgespräch grundsätzlich: Rassismus gegenüber Afroamerikanern sei tief in der amerikanischen Gesellschaft und Geschichte verwurzelt, sagte der Präsident dem TV-Sender BET, der sich vor allem an ein schwarzes Publikum wendet, in einem Interview, das am Montag in voller Länge ausgestrahlt werden sollte. Um dann aber sofort wieder nachzuschieben, dass man in dieser Debatte auch bisherige Errungenschaften erkennen müsse, um weiter Fortschritte machen zu können. »Wenn Sie mit Ihren Eltern, Großeltern, Onkeln sprechen, werden sie Ihnen sagen, dass die Dinge besser sind - nicht gut, aber besser«, erklärte der Präsident mit Blick auf die Situation vor fünf Jahrzehnten.

Doch in der schwarzen Gemeinschaft dominieren tiefe Zweifel am Rechtsstaat Made in USA. Laut einer Umfrage des Pew-Forschungszentrums misstrauten über zwei Drittel der Afroamerikaner der Polizei. Auch die »Washington Post« findet es da »bemerkenswert«, wie »zurückhaltend« sich Obama in seinem jüngsten Interview äußert: »In seiner Autobiografie und in einer viel beachteten Wahlkampfrede 2008 hatte er in der Rassismus-Frage noch sehr emotional an die Nation appelliert.«

Der Präsident der ältesten schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP, Cornell Williams Brooks, nimmt Obama dagegen gleichsam in Schutz: Wenn schwarze Männer ein 21 Mal höheres Risiko als weiße trügen, von einem Polizisten erschossen zu werden, wenn jeder vierte Afroamerikaner berichte, von Polizisten schikaniert worden zu sein, dann gehe es nicht so sehr darum, ob der Präsident jetzt den richtigen Ton trifft. »Es geht um reale Veränderungen unseres Justizsystems, die die Werte unserer Verfassung reflektieren.« Diese Probleme rassischer Gleichberechtigung aber könnten nicht in Obamas Amtszeit gelöst werden, betont Brooks.

»Nur ein wirklich nationales Reformprogramm kann die gewalttätigen Übergriffe eindämmen«, ist sich der linksliberale britische »Observer« sicher. »Dazu müssen lokale Polizeidienststellen überprüft, einheitliche Regeln für angemessenes Verhalten der Polizei aufgestellt und gemeinnützige Alternativen zu Haftstrafen entwickelt werden.« Die 75 Millionen Dollar (rund 60 Millionen Euro), die Präsident Obama als Sofortmaßnahme in den kommenden drei Jahren für die Anschaffung von 50 000 Mini-Körperkameras an Polizisten bereitzustellen will, sind da allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

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