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Ich will nicht glauben, dass Malcolm X richtig lag ...

  • Roberto de Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Es schien geschafft. Ein Schwarzer wurde US-Präsident. Dann ermordeten Polizisten Michael Brown und Eric Garner und kamen damit durch. Martin Luther Kings Traum ist noch immer ein Schlaferlebnis und nicht mehr. Der »Cosbyismus« hat sich als bequeme Autosuggestion erwiesen.

Ich erinnere mich an eine Folge der »Cosby Show«. Die Serienfamilie Huxtable sitzt – wie so oft - im Wohnzimmer. Sie hat Gäste. Die Alten erzählen den Jungen von Dr. King und dem Marsch auf Washington und was seine berühmte Rede für einen Einfluss auf die Schwarzen im Lande hatte. Dass die jungen Schwarzen jetzt so leben könnten, wie die Huxtable-Kinder, sei die Folge dieser bewegenden Zeit, an der die Altvorderen teilgenommen hatten. Ich war noch recht jung und das war mein erster Kontakt mit Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung.

Mir schien es so, als habe sich alles zum Guten gefügt. Cosbys Serienkinder sahen gut aus, hatten Luxussorgen. Er trug schreckliche Pullover, war aber Frauenarzt. Seine Frau Rechtsanwältin. Ja, dieser schwarzen Familie ging es hervorragend. Sie sorgten sich lediglich darum, ob sie noch ein Ticket für ein Konzert von Michael Jackson bekommen würden oder sie trafen wie selbstverständlich auf Stevie Wonder. Ich wusste natürlich, dass es eine Serie war, aber ich bildete mir ein, dass viele Schwarze mittlerweile so lebten. Und wenn nicht ganz so luxuriös, dann sicherlich nicht schlecht. Die Weißen, die in der Serie vorkamen, hatten ja auch keinerlei Berührungsängste. Vorurteile gab es gewissermaßen nicht. Ich kann mich an keine Folge erinnern, in der man den Rassismus gegen Schwarze thematisierte.

Heute weiß ich natürlich, dass dieser Cosbyismus der Achtzigerjahre ein Bild von Amerika zeichnete, wie es nicht zutraf und noch immer nicht zutrifft. Der Mann brachte uns eine Scheinwelt ins Wohnzimmer, und wir akzeptierten die heile Welt gerne. Es gibt natürlich eine schwarze Mittelschicht. Und man kann annehmen, dass sie sich ebenfalls autosuggestiv in einer solchen cosbyistischen Gemütlichkeit einrichtete; sich in ein Biedermeier zurückzog, in dem alles in Ordnung ist und der Rassismus nur noch zu einer Erscheinung bei Leuten erklärt wird, die ungehobelt und ungebildet sind. Immerhin ist ja auch ein Schwarzer zum Präsidenten gewählt worden. Aber nach den jüngsten Freifahrtscheinen für Morde an Afroamerikanern ist wohl auch der Letzte aus diesem gutgelaunten Cosbyismus erwacht.

Klar, eine schwarze Mittelschicht gibt es. Aber sie ist nicht der Regelfall. Huxtables sind nicht repräsentativ. Schwarze Amerikaner werden weiterhin benachteiligt und diskriminiert. Sind eher arbeitslos, sitzen eher im Gefängnis und wohnen eher in schlechten Häusern. Dass sie eher Opfer von Polizeigewalt sind, ist nicht unbedingt neu. Und dass diese Polizeigewalt nicht geahndet wird, eigentlich auch nicht so richtig. Man muss nur mal an Rodney King zurückdenken. Diese Tolerierung von polizeilicher Gewalt kommt einem Staat in der Dritten Welt gleich. Einem, der der Welt aber militärisch beibringen möchte, wie Fairness und Demokratie zu funktionieren haben.

Wie gesagt, Martin Luther King war zuerst ein Name aus einer Serie für mich. Später kam ich an ihm nicht mehr vorbei. Der Mann imponierte. Er war mir immer sympathischer als sein Zeitgenosse und Gegenspieler Malcolm X. King lehrte Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit; er wollte den Ausgleich. Malcolm X war für Bewaffnung, für Radikalisierung und legte seinen Namen ab, weil er eine »weiße Erfindung« war. King war einflussreicher, und ich fand das beruhigend. Die Ereignisse der letzten Wochen machen mich jedoch skeptisch. Ich beginne zu glauben, dass X Recht hatte. Leider. Mit Versöhnung ist diesem strukturellen Rassismus nicht mehr beizukommen. Man kann ihn nicht vom Besseren überzeugen. King hat das übrigens kurz vor seinem Tod ganz ähnlich gesehen. Er suchte die Annäherung zu X. Das hat man heute so gut wie vergessen.

Über Malcolm X haben die Huxtables übrigens nicht gesprochen. X hätte sicher auch nicht über sie gesprochen. Er hätte sie »House Negros« genannt, die die Lage der »Field Negros« ausblenden. »Unser« transatlantischer Partner ist leider keine »Cosby Show«.

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