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Der Flüchtling als Nachbar

Sachsen-Anhalt setzt auf dezentrale Unterbringung - Wohnungsverbände wollen »Asylgipfel«

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch in Sachsen-Anhalt steigt die Zahl der Asylbewerber. Viele leben in Wohnungen statt in Heimen. Vermieter wollen mehr Information.

Über Deutschkurse wird viel geredet, wenn es um notwendige Angebote für Asylbewerber in der Bundesrepublik geht; über Seminare in Wohnverhalten bisher nicht. Dabei sollen Flüchtlinge zunehmend in Wohnungen statt in Heimen untergebracht werden. Zu den Voraussetzungen zähle aber, dass sie »grundsätzlich wissen, wie deutsches Wohnen funktioniert, samt Ruhezeit und Hausordnung«. Das meint jedenfalls Roland Meißner, Chef des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt: »Das muss vorbereitet werden.« Auch zu diesem Zweck verlangen seiner und der Verband der kommunalen Wohnungsunternehmen einen »Asylgipfel«, zu dem die Landesregierung so bald wie möglich einladen soll.

Den Gipfel wird es geben: Die Landesregierung plane ein solches Treffen für Anfang 2015, meldet die »Mitteldeutsche Zeitung«. Für die beiden Wohnungsverbände wird der Gipfel interessante Erkenntnisse bereit halten, zum Beispiel, dass Asylbewerber schon weit häufiger in Wohnungen leben als angenommen. Es gebe »derzeit wenige« Fälle, mutmaßt Meißner: »Das ist derzeit nicht die Hauptstrategie der Landkreise.«

Tatsächlich ist es jedoch fast der Regelfall - zumindest, wenn man der CDU/SPD-Landesregierung glaubt: 63,3 Prozent der Asylbewerber in Sachsen-Anhalt lebten in Wohnungen und nur 36,3 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften, teilt Regierungssprecher Matthias Schuppe auf Nachfrage des »nd« mit: »Vor zwei Jahren war das Verhältnis noch nahezu umgedreht.«

Allerdings zweifelt die LINKE-Abgeordnete Henriette Quade die Zahlen an. Es entspreche »eben nicht der Realität, dass die meisten Betroffenen dezentral untergebracht seien«. Derzeit entstünden überall im Land neue Gemeinschaftsunterkünfte, und bestehende seien überfüllt. Eine Vorgabe des Innenministeriums von vor zwei Jahren zeige »nur begrenzt Wirkung« und sei zu unverbindlich. Quade bezieht sich auf Leitlinien des Innenministeriums vom Januar 2013. Danach ist für Familien mit Kindern sowie für Menschen, deren Asylverfahren schon über drei Jahre läuft, als »Regelunterbringung« die Wohnung vorgesehen. Ausgenommen sind nur Zuwanderer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder in ihrem Asylverfahren die Mitwirkung verweigern. Die Hürden seien aber zu hoch, sagt Quade. Der Asylgipfel solle einen »politischen Willen zur dezentralen Unterbringung« verbindlich festschreiben.

Immerhin haben viele Vermieter und Mieter inzwischen Erfahrungen mit Flüchtlingen als Nachbarn - und könnten auf dem Asylgipfel auch Befürchtungen zerstreuen, wie sie selbst bei den Verbänden zu bestehen scheinen. »Offensichtlich gibt es dort diffuse Ängste«, sagt Sören Herbst, Abgeordneter der Grünen. Daraus erwachsene Vorschläge, etwa die Sitten künftiger Bewohner frühzeitig bekannt zu geben, seien aber »weder relevant noch zielführend«. Besprochen werden können statt dessen Verfahrensfragen und rechtliche Probleme, etwa eine von Meißner befürchtete Umsatzsteuerpflicht für Vermieter, wenn Flüchtlinge weniger als sechs Monate in einer Wohnung leben. Auch könnten Landkreise und Kommunen die Vermieter »rechtzeitig über benötigte Wohnungskapazitäten informieren«, sagt Herbst.

Ob die Landkreise dazu in der Lage sind, ist unklar. Derzeit müssten sie jeweils zwischen 40 und 100 Asylbewerber im Monat aufnehmen, teilt der Landkreistag auf Anfrage mit. Deren Unterbringung »bildet einen Schwerpunkt der Arbeit und bindet enorme personelle und finanzielle Ressourcen«. In Zukunft werde der Bedarf für die Unterbringung weiter steigen - »sowohl in Gemeinschaftsunterkünften als auch in Wohnungen«, erklärt der Verband. Genauere Zahlen nennt er allerdings nicht.

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