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Vom Politbüro zum Freundeskreis Putin

Russlands Präsident hat wie einst eine kleine Schar Getreuer an sich gebunden

  • Elke Windisch, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Moskauer Führungszirkel um Präsident Putin ist gewollt instabil, doch haltbar. Für ein Bauernopfer könnte es zu früh sein: Die Wirtschaft hat ihre Talfahrt noch nicht beendet.

Die junge, blonde Dolmetscherin war sichtlich nervös, als Igor Setschin, der Chef des staatlichen Ölförderers Rosneft, vor laufender Kamera des russischen Staatsfernsehens Höflichkeiten mit seinen brasilianischen Gastgebern austauschte. Denn einst war Setschin selbst Portugiesisch-Dolmetscher. Ende der Achtziger offiziell in Diensten eines sowjetischen Außenhandelsunternehmens in Mosambik und Angola, soll er schon damals auch auf der Gehaltsliste des KGB gestanden haben.

Das war, als Setschin in die Stadtverwaltung von St. Petersburg wechselte, eine gute Empfehlung für Vizebürgermeister Wladimir Putin. Kaum hatte ihm Boris Jelzin zu Silvester 1999 Kremlschlüssel und Atomkoffer übergeben, erhöhte er Setschin, damals 39, zum Leiter seines persönlichen Büros.

Das Amt bringt dem Inhaber automatisch den Rang eines Vizechefs der Präsidialverwaltung ein. Hinter dem schlichten Titel verbirgt sich ungeheure Machtfülle. Der Büroleiter macht die Termine des Präsidenten. Er entscheidet, welche Vorlagen ihm persönlich zur Unterschrift vorgelegt werden, er macht den Pressespiegel, aus dem der Kremlherrscher sich über die Stimmung im Land informiert.

Im Zweitjob durfte Setschin ab 2004 als Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft Kasse machen. Als Dmitri Medwedew während seines Gastspiels im Kreml 2011 Staatsdienern den Controller-Nebenjob untersagte, setzte Putin Setschins Ernennung zum Vorstandschef von Rosneft durch. In dieser Eigenschaft drückte er den Startknopf, als im Herbst 2014 das erste Ölfeld im Eismeer den regulären Betrieb aufnahm. Putin war per Videokonferenz zugeschaltet.

Vizepremier Dmitri Kosak, der die Vorbereitung der Olympischen Winterspiele koordinierte, durfte sogar den Startknopf beim Formel-1-Rennen in Sotschi betätigen. Er, Setschin und knapp zwei Dutzend andere vertreten die Interessen der wichtigsten Clans der Eliten in einem von Putin moderierten informellen Netzwerk.

Politbüro 2.0 nennen kritische Beobachter das Gremium, in dem, vorbei an Verfassung und Parlament, Kremladministration und Regierung, sämtliche Grundsatzentscheidungen zu Politik und Wirtschaft fallen. Doch das Original war wenigstens notdürftig durch die in der sowjetischen Verfassung festgeschriebene führende Rolle der Kommunistischen Partei und durch innerparteiliche Wahlen legitimiert, so undemokratisch sie auch waren.

Der Freundeskreis Putin dagegen hat so wenig ein Mandat wie die »Familie«, mit der Boris Jelzin alle Schlüsselstellen besetzt hatte. Putin ersetzte sie gleich nach seiner Wiederwahl 2004, als die mit seinem Amtsvorgänger vereinbarte Schonzeit für die Altlasten ablief, durch Männer, deren Loyalität er häufig schon in gemeinsamen KGB-Tagen erprobt hatte. Er verpflichtete sie sich neu durch lukrative Posten in den Aufsichtsräten von Staatskonzernen. Allein Ex-Dolmetscher Setschin soll dadurch 7,3 Milliarden US-Dollar angehäuft haben.

Gleichzeitig schwächte Putin per Verfassungsreform den Einfluss der Regionen. Ein Teil der Provinzfürsten hatte 1999 beim Gerangel um die Jelzin-Nachfolge versucht, Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow auf den Chefsessel im Kreml zu hieven. Statt direkt gewählt, wurden sie zwischen 2005 und 2011 vom Kreml ernannt. Putins Amigos mischten mit und hatten dabei nicht immer ein glückliches Händchen.

Dem Politbüro 2.0 lastet Politikwissenschaftler Jewgeni Mintschenko die Hauptschuld dafür an, dass Putins wichtigster Deal mit dem Westen - Modernisierung der russischen Wirtschaft gegen Energiesicherheit - scheiterte. Er und sein Freundeskreis hätten die Rolle demokratischer Institutionen im Westen fatal unterschätzt. Unterschiedliche Werteordnungen und die Intransparenz der Entscheidungsprozesse, die für den Westen nicht nachvollziehbar sind, hätten die Kluft zu Europa und den USA weiter vertieft.

Putin habe versucht, den Verlust durch »Schaffung einer Loyalitätszone« im postsowjetischen Raum zu kompensieren. Durch den prowestlichen Machtwechsel in Kiew sei das Projekt jedoch faktisch gescheitert. Weil die Entwicklungen in der Ukraine auch die Eliten in Russland spalten könnten, habe der Kremlchef frühzeitig »externe Einflüsse« auf das Politbüro 2.0 minimiert. Hohen Beamten sind Bankkonten und Immobilien im Ausland und eine zweite Staatsbürgerschaft untersagt, teilweise sogar Auslandsreisen

Gleichzeitig formatierte Putin das Gremium nach seiner Rückkehr in den Kreml 2012 neu. Bekriegten sich zuvor Silowiki - Nationalkonservative mit KGB-Hintergrund wie Setschin - und angepasste Liberale wie Medwedew, rangeln jetzt nach Branchen strukturierte Sektoren um Macht und Pfründe. Dadurch sinke die Putschgefahr, die Putin vor allem bei den Silowiki verortet, glaubt Politologe Mintschenko. Innen- und Verteidigungsministerium sowie die Geheimdienste sind dem Kremlchef direkt unterstellt.

Die Umlaufbahnen, auf denen die Planeten um das Zentralgestirn kreisen, sind höchst instabil. Neben Setschin, dem Oligarchen Gennadi Timtschenko und dem Bankier Juri Kowaltschuk, deren Einfluss als stabil gilt, sind derzeit die drei Sergei der Sonne am nächsten: Tschemesow, Vorstand der Staatsholding Rostechnologii, Verteidigungsminister Schoigu und der Chef der Kremladministration Iwanow.

Letzterer unterlag zwar 2007 beim Duell mit Medwedew um das Gastspiel im Kreml, ihm übertrug Putin 2013 jedoch wichtige Kompetenzen des Regierungschefs. Wegen der wirtschaftlichen Turbulenzen sank Medwedews Stern. Gerüchte wollen daher wissen, dass er in Kürze entlassen werde. Das Parlament muss aber zustimmen und Medwedew ist formal Chef der Regierungspartei »Einiges Russland«. Die hat in der Duma die absolute Mehrheit. Fraglich ist zudem, ob der vermutete Nachfolger, Ex-Finanzminister und Putin-Freund Alexei Kudrin, unter den ungünstigen Rahmenbedingungen Kurswechsel und Reparatur der Beziehungen zum Westen hinbekäme.

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