Ausleihen statt kaufen

Bei der »Kleiderei« aus Hamburg kann man seinen Kleiderschrank nun auch online neu bestücken - ohne dass er voller wird

  • Knut Henkel, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob das elegante kleine Schwarze oder das gelb-orange Jackett - bei der »Kleiderei« in Hamburg kriegt man, was man sucht, und muss die Textilien nicht einmal kaufen.

»Eigentlich wollten wir nie online gehen, weil uns die Atmosphäre im Laden so gut gefällt«, meint Pola Fendel. Doch dann hätten immer mehr Menschen sie und ihre Partnerin gefragt, wann sie bei ihnen eine »Kleiderei« eröffneten. Fendel, 26 Jahre, Kunststudentin, liebt ausgefallene Kleidungsstücke wie das hellblaue, mit buntem Tyrannosaurus Rex bedruckte Shirt. Sie bereitet das »Kleiderei«-Event des Jahres vor: die Party zum Onlinestart des Garderobenverleihs.

Seit Anfang November verschicken Pola Fendel und Kollegin Thela Wilkening Pakete. Da ging die Homepage der »Kleiderei« online - erst zur Probe und inzwischen auch im Alltagsbetrieb. Die Zahl der Kunden hat sich seitdem verdoppelt. Die Idee, Kleider zu leihen, statt zu kaufen, kommt an. Hier gibt es nicht nur das Kleine Schwarze, sondern auch den gemusterten Oma-Rock oder den Fummel vom jungen Hamburger Modelabel. Das Angebot in dem kleinen Laden im Schanzenviertel ist eben anders: Der grobgestrickte, farbige Pullover trifft auf das beige Longsleeve mit dem gezeichneten Hundekopf, das schlichte, schwarze Rolli-Shirt auf das Top mit weißer Spitze zum gelb-orange-karierten Jackett - insgesamt finden sich rund 1100 Stücke.

Doch schon jetzt ist klar: Es müssen mehr werden. »Unsere Nachfrage geht durch die Decke und mindestens fünfhundert Teile werden in den nächsten Monaten dazukommen«, prognostiziert Fendel. Sie ist die chaotischere Hälfte des Duos hinter der »Kleiderei«. Wilkening kommt vom Fach, ist Studentin des Ingenieursstudiengangs »Bekleidung, Technik, Management« und kennt sich aus, wenn es um Umwelteinflüsse und die soziale Situation in den Nähstuben der Welt geht. Den Wasser- und Energieverbrauch der Textilproduktion kann sie beziffern - ein triftiger Grund, weniger zu kaufen und mehr zu teilen.

Auf die Idee zur »Kleiderei« kamen die Freundinnen eines Abends, weil sie Lust auf neue Klamotten hatten, aber keinen Bock auf den Einkauf bei Billigketten. »Wir hatten das Gefühl, dass wir unglaublich viel Klamotten brauchen. Das fanden wir Schwachsinn und fragten uns, warum sich frau 2012 keine Kleider leihen kann.« Das war der Startschuss. Etwas Demokratisches gründen, was für jeden bezahlbar und zugänglich ist, nennt das Wilkening. Dafür suchte sie mit Fendel den eigenen Schrank nach geeigneten Kleidungsstücken ab. Dorther und vom Flohmarkt, aber auch von Freundinnen, kamen die ersten Stücke, mit denen im Oktober 2012 die »Kleiderei« eröffnete.

Zwischenzeitlich gab es auch eine Dependance in Berlin-Neukölln. »Da kamen die schrilleren Klamotten besser an als in Hamburg. Da bewahrheiten sich Stereotype«, lacht Fendel, die gerade ihre Bachelorarbeit abgegeben hat und ab Frühjahr 2015 Vollzeit in der »Kleiderei« arbeiten will. Die 15 000 Euro für die Eröffnung der Onlineleihe über Crowdfunding kamen da zum richtigen Zeitpunkt zusammen. 26 Euro zahlt jedes »Kleiderei«-Mitglied für ein Paket mit vier Kleidungsstücken im Monat. Das sorgt für Abwechslung im Schrank - natürlich wird vorher angegeben, was gemocht und getragen wird und welche Größe es sein soll.

Ein fortschrittliches Konzept, denn es bietet Alternativen zum Konsumwahn, den Gisela Burckhardt als »Fast Fashion« bezeichnet: Klamotten, die - oft aus Langeweile - gekauft, aber längst nicht immer getragen werden, die nicht genäht werden, wenn sie beschädigt sind, schreibt die Aktivistin der Kampagne für Saubere Kleidung. Über diese Realitäten ärgern sich auch Fendel und Wilkening. Sie haben bisher alles Verliehene zurückbekommen, heil, gewaschen und gebügelt. Ein Beweis, dass es auch anders geht.

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