Neue Aufgabe für den Deichgrafen

Professor Matthias Freude nicht mehr Präsident des Landesumweltamtes

Nach zwei Jahrzehnten als oberster Naturschützer Brandenburgs wurde Matthias Freude von Agrarminister Vogelsänger versetzt.

Literarischen Ruhm erlangte die Figur des Deichgrafen in Theodor Storms Novelle »Der Schimmelreiter«. In Brandenburg ist der Titel Deichgraf inoffiziell und lebenslang an den SPD-Politiker Matthias Platzeck vergeben. Deichgraf getauft wurde Platzeck in seiner Zeit als Umweltminister während der Oderflut 1997.

Bei späteren Hochwassern von Elbe, Oder, Neiße, Spree und Schwarze Elster wurde als Deichgraf aber auch Umweltamtspräsident Matthias Freude bezeichnet. Fast 20 Jahre lang stand Professor Freude an der Spitze des Umweltamtes. Zuvor war er mehrere Jahre Direktor der Landesanstalt für Großschutzgebiete. Kaum zu glauben, dass er nun aus seiner angestammten Tätigkeit für den Naturschutz herausgenommen wurde.

Seit 1. Januar leitet der 62-jährige Biologe das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung. Er tauschte seine Position mit dem 53-jährigen Chemiker Dirk Ilgenstein, der damit nunmehr neuer Präsident des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz geworden ist. Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) begründete diese Personalrochade mit den Erfahrungen, die Ilgenstein bei der Umstrukturierung des Landesamtes für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung gewonnen habe. Diese Erfahrungen sollen ihm helfen bei der anstehenden Umstrukturierung des Umweltamtes. Denn für den Verbraucherschutz ist inzwischen das Justizministerium zuständig, für die Gesundheit das Sozialministerium. Der Bereich Umwelt wurde zurückverlegt ins Agrarministerium. Fünf Jahre lang hatte es zuvor ein Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz gegeben. Jetzt nicht mehr.

Die Umstrukturierung, bei der Gesundheit und Verbraucherschutz aus dem Umweltamt herausgelöst und die verbleibenden Teile neu geordnet werden müssen, werde längere Zeit in Anspruch nehmen, ist Agrarminister Vogelsänger überzeugt. »Hier ist über die gesamte Legislaturperiode eine personelle Kontinuität an der Spitze des Amtes gefragt«, argumentiert er. Freude wird vor der Landtagswahl 2019 in Pension gehen.

»Personalentscheidungen trifft der zuständige Minister«, bemerkt knapp die Landtagsabgeordnete Anita Tack (LINKE). Als Umweltministerin ist sie von 2009 bis 2014 Chefin von Matthias Freude gewesen. »Ich kenne Professor Freude als ausgewiesenen Fachmann für den Hochwasser-, Umwelt- und Naturschutz« lobt sie. »Insbesondere hat er sich sehr für die Entwicklung der Brandenburger Naturlandschaften eingesetzt.«

Matthias Freude gehört zu den Begründern des Nationalparkprogramms der DDR, welches kurz vor der deutschen Wiedervereinigung in Ostdeutschland die Grundlage zur Sicherung von fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservaten und drei Naturparks gewesen ist. Zu den Nationalparks gehört auf brandenburgischem Territorium der Nationalpark Unteres Odertal.

»Diese erste Personalrochade von Minister Vogelsänger ist absolut unnötig und fachlich nicht begründet«, schimpft der Landtagsabgeordnete Dieter Dombrowski (CDU). Freude sei »der eigentliche Deichgraf Brandenburgs«. Auf seine Erfahrungen im Hochwasserschutz könne das Land nicht verzichten. »Ich fordere Minister Vogelsänger deshalb auf, diese Personalentscheidung sofort zurückzunehmen«, reagierte Dombrowski bereits im Dezember auf die Ankündigung des Postentauschs. Lieber sollte sich Vogelsänger beim Finanzminister dafür einsetzen, dass Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel im Umweltamt ergriffen werden. Nach Darstellung Dombrowskis fehlen fast 100 Stellen für die gesetzlich vorgeschriebene Überwachung und für Genehmigungsverfahren, denen sich Betriebe mit Schadstoffausstoß oder Lärmbelästigung unterziehen müssen. Besonders schwer wiege die »schleppende Bearbeitung« von Anträgen auf immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, sagt Dombrowski, da dies mittlerweile zu einem Investitionsstau von sage und schreibe einer Milliarde Euro geführt habe. Diese Personalmangel sei dem früheren Finanzminister Rainer Speer und den bisherigen Umweltministern anzulasten. Die Versetzung von Professor Freude mache die Probleme nur noch größer.

Grünen-Fraktionschef Axel Vogel hatte sich im November dafür ausgesprochen, das Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz nicht zu zersplittern und stattdessen eine gleichzeitige Zuständigkeit mehrerer Ministerien für ihr jeweiliges Fachgebiet zu erproben. Die in Erwägung gezogene extra Behörde für den Verbraucherschutz »wäre unzeitgemäß«, meinte Vogel. »Wir reden über effektivere Strukturen durch eine Funktional- und Kreisgebietsreform, da passen Pläne für ein neues Miniamt nicht ins Bild.«

Wie tatsächlich mit dem Verbraucherschutz künftig verfahren werde, dazu gebt es noch keine Klarheit, stellt Maria Strauss jetzt klar. Die Sprecherin des inzwischen für den Verbraucherschutz verantwortlichen Justizministers Helmuth Markov (LINKE) sagt: »Die internen Verständigungen dazu stehen noch aus.«

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