Solidarität mit Engagement

Frankreich zeigt sich in der Trauer um die Opfer des Attentats auf die »Charlie Hebdo« weitgehend geeint

  • Bernard Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz Verfolgungsjagden und erneuten Schießereien in Paris trauerten Tausende Menschen am Donnerstag um die getöteten Mitarbeiter der »Charlie Hebdo«. Doch wie verkraftet die Französische Republik den Anschlag insgesamt?

Von Bernard Schmid, Paris

Alle Räder standen still - für eine Minute. Sämtliche öffentlichen Dienste und Einrichtungen in Frankreich beteiligten sich am Donnerstagmittag an einer Schweigeminute, nachdem Staatspräsident François Hollande am Tag zuvor einen nationalen Tag der Trauer für die ermordeten Redaktionsmitglieder und Mitarbeiter von »Charlie Hebdo« ausgerufenen hatte. Im ganzen Land wurde der zwölf Ermordeten gedacht.

Und so traten um punkt zwölf Uhr, als die Glocken der Kirche Notre-Dame erschallten, auch die Mitarbeiter des Arbeitsministeriums sowie Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die zuvor über das Thema Diskriminierung berieten, zusammen in die Eingangshalle des Pariser Ministeriums für soziale Angelegenheiten. Arbeitsminister François Rebsamen erklärte in einer kurzen Ansprache, er gedenke »jener, die für die Freiheit der Meinungsäußerung gestorben sind, die unser Land auszeichnet«. Und er erinnerte an die Devise der Republik seit den Tagen der Revolution - »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« -, die er an dem Tag um »Laizität«, also Säkularismus, ergänzte.

Die Anwesenden in der Halle sahen pflichtschuldig oder auch wirklich betroffen auf den Boden. Vor allem unter den anwesenden Gewerkschaftern kannten viele zumindest einige der ermordeten Zeichner, auch persönlich. »Charb« (Stéphane Charbonnier), »Tignous« (Bernard Verlhac) oder auch »Wolinski« (Serge W.) waren nicht ausschließlich für die bei dem Mordanschlag vom Mittwoch attackierte Wochenzeitung tätig. Bei vielen Kundgebungen, Gewerkschafts- und Attac-Versammlungen, antirassistischen Treffen oder Ökoprotesten kommentierten sie mit ihren bildlichen Darstellungen, die per Overheadprojektor auf eine riesige Leinwand projiziert wurden, live das Geschehen oder die Äußerungen am Mikrofon.

Deswegen war es nicht allein Protest gegen die »Ermordung der Meinungsfreiheit«, der am Mittwochabend mindestens 5000 Menschen auf den Pariser Place de la République trieb, während in ganz Frankreich mindestens 100 000 Menschen an Kundgebungen teilnahmen. Viele trauern auch unmittelbar um Menschen, deren vielfältiges Engagement sie kennen.

Die Teilnehmerzahl bei der Pariser Solidaritäts- und Trauerkundgebung war schwer zu bestimmen. Im Vorfeld kursierten unterschiedliche Aufrufe mit verschiedenen Uhrzeiten - vom französischen Gewerkschaftsbund CGT, von Journalistenverbänden oder von der eigens eingerichteten Facebook-Seite mit dem Namen »Wir alle sind Charlie«.

Man sah Gewerkschaftsfahnen, Abzeichen von antirassistischen Gruppen und von »Ensemble«, das neben der Kommunistischen Partei und der Linkspartei von Jean-Luc Mélenchon Mitglied der Linksfront ist. Auf diesem Platz ging es klar um universelle Solidarität, die nicht versucht, Muslime auszugrenzen, während Dschihadisten mit hoher Wahrscheinlichkeit als Täter bei der Mordaktion gegen »Charlie Hebdo« gelten, sondern allgemeine Grundrechte proklamiert. Die Gewerkschafterin Marlène etwa kommentiert: »Ich bin zuerst hier, um mich nicht allein zu fühlen, um nicht in Depression zu verfallen angesichts dieser extremen Gewalt, sondern Solidarität zu stärken.«

Nicht alle in Frankreich reagieren mit solchen Gedanken auf den zwölffachen Mord. Seit der Nacht zum Donnerstag wurden drei Moscheen mit Brandsätzen oder Handgranaten attackiert, im südfranzösischen Département Aude, im westfranzösischen Le Mans, in Villefranche-sur-Saône. Von »Genug von den Moslems« bis zu »Kopf ab« reichen die Reaktionen in manchen Kreisen.

Die rechtsextreme Front National (FN) versteht es, diese Stimmung auszunutzen. Ihre Vorsitzende Marine Le Pen wurde am Donnerstagnachmittag neben Vertretern anderer Parteien von Präsident Hollande offiziell im Elysée-Palast empfangen. Der FN hat keine Fraktion im französischen Parlament, sondern zählt dort im Augenblick nur zwei Abgeordnete.

Die Regierung versucht, sie einzubinden. Doch schon nimmt sie ihren ganz eigenen Weg. Mit martialischem Auftreten, lautstarken Forderungen nach der Todesstrafe für die Täter und dem Ruf, man befinde sich nunmehr »im Krieg mit dem radikalen Islam«, versucht die FN, die Stimmung in autoritären Kreisen der Gesellschaft noch mehr anzuheizen. In Marseille nahm der FN-Bezirksbürgermeister der nördlichsten Stadtteile, Stéphane Ravier, ungehindert an der Kundgebung teil, zu der die Linke aufgerufen hatte. In der FN-regierten Gemeinde Hénin-Beaumont nahm die extreme Rechte die Kundgebung gleich selbst in die Hand.

Zu Lebzeiten hätten die Journalisten von »Charlie Hebdo« ihren Vertretern nicht die Hand gereicht. Allerdings teilen nicht alle im Spek᠆trum der extremen Rechten die vordergründige Anteilnahme. Auf den sich in Windeseile ausbreitenden Slogan »Ich bin Charlie« reagierte die rechtsextreme Webseite NDF.fr mit eigener Parole: »Ich bin nicht Charlie! Ich bin die beiden Polizisten, die von Fanatikern ermordet wurden, als sie andere Leute schützten.« Zwei der Opfer von Mittwoch sind Beamte, die bei ihrem Einsatz gegen die Attentäter ums Leben kamen.

Am Sonntag soll eine Großkundgebung in Paris stattfinden, zu der ursprünglich die Linksparteien - Sozialdemokratie, Linksliberale, Grüne, KP - aufriefen. Am Donnerstagnachmittag verkündete auch die konservative UMP ihr Kommen. Zerstritten sind die OrganisatorInnen nun über die Frage: Was, wenn auch die Front National sich hierbei dranzuhängen versucht?

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