Putsch der Schattenmänner

Wie es zur Militärdiktatur in Griechenland kam

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

In einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit« beschrieb der Chefökonom von SYRIZA, John Milios, in der vergangenen Woche das griechische Wirtschaftssystem nach wie vor als eine »Oligarchie«, deren Ausmaße »mit europäischen Standards nicht vergleichbar« seien. Die Zahlen geben Milios recht. Nach wie vor besitzen die reichsten 2000 griechischen Familien über 80 Prozent der Vermögenswerte des Landes. Während der Rest der Bevölkerung unter den Diktaten der Troika leidet, konnten sie ihren Besitzstand und Einfluss allen Krisenerscheinungen und Sparauflagen zum Trotz behaupten und teilweise sogar noch ausbauen.

»Für Griechenlands Reiche geht die Party weiter«, titelte sogar der jeglicher Sympathien für Umverteilungen unverdächtige »Focus« vor gut zweieinhalb Jahren. Mit welchen Mitteln diese Privilegien bisher im Zweifelsfall verteidigt wurden, verdeutlicht ein Blick auf den Militärputsch, der das Land vor nunmehr fast einem halben Jahrhundert für immerhin sieben Jahre einem brutalen Folterregime auslieferte.

Dabei standen, als in der Nacht zum 21. April 1967 eine kleine Verschwörergruppe um Oberst Georgios Papadopoulos, Generalleutnant Stylanios Pattakos und General Georgios Ziotakis die Macht an sich riss, weder die staatliche Ordnung noch die Westbindung Griechenlands oder gar der kapitalistische Charakter der Wirtschaftsstrukturen zur Disposition. Seit 1952 war das Land Mitglied der NATO und seit 1961 bestand ein Assoziierungsabkommen mit der EWG.

Schon die Ankündigung einer »vorsichtigen Reformpolitik in Richtung einer Liberalisierung und sozialen Wirtschaftspolitik« durch die 1963 um ihren Wahlsieg betrogene sozialliberale Zentrumsunion von Georgios Papandreou, der für die im Mai anstehenden Wahlen die absolute Mehrheit vorausgesagt wurde, reichte, um die Eliten in Hysterie zu versetzen. Bis dahin hatte nach dem Sieg über die Kommunisten im Bürgerkrieg der Parakratos - der Schattenstaat aus Königshaus, rechtsextremen Militärs und einigen wenigen Wirtschaftsbossen um die Reeder - das Land relativ unbehelligt von jeglicher Opposition beherrschen können. Nun aber schrillten die Alarmglocken.

Und man war vorbereitet in Athen. Schon seit Beginn der 1950er Jahre arbeiteten Militärs und Geheimdienstler im Auftrag des Königshauses - 1964 war Konstantin II. seinem Vater Paul I. auf den Thron gefolgt - und unter Anleitung durch die CIA an ständig aktualisierten Putschplänen für den Fall der Fälle. Auch wenn sich Konstantin letztlich nicht entscheiden konnte, die unter dem Decknamen »Prometheus« firmierenden Pläne umzusetzen, so bildeten doch genau diese die Schablone für die Machtübernahme der entschlosseneren Mannen um Papadopoulos; jener hatte bereits den deutschen Besatzern im Krieg gegen die kommunistisch dominierte Widerstandsorganisation ELAS gedient.

Analog zu den westeuropäischen Gladio-Programmen ging die »Rettung des griechischen Staates und seiner Identität« - wie als Ziel ausgegeben war - auf der Grundlage des Prometheus-Plans »mit der Präzision eines Uhrwerks über die Bühne«, schreibt Heinz Richter in seinem Standardwerk »Griechenland 1950 - 1974«.

150 Panzer besetzten die Innenstadt und 2000 Mann der berüchtigten griechischen NATO-Sondereinheiten »Lok« machten gemeinsam mit der Militärpolizei Jagd auf politische Gegner. Diese Elite-Soldaten wurden zur Speerspitze der Militärrevolution, merkte der »Spiegel« damals in seiner Berichterstattung über den Putsch an. Die Praxis der massenhaften Verhaftungen hat der damals internierte Schriftsteller Titos Patrikios wie folgt beschrieben: »Verhaftet am frühen Morgen ... Von etwa 15 bis 20 Schlägern derart geprügelt, dass er eine Viertelstunde brauchte, bevor er die 30 Meter bis zum Polizeiwagen hinter sich hatte.«

8000 Verhaftungen zählte der »Spiegel« damals, 6500 gab der für die »innere Sicherheit« zuständige Putschist Pattakos eine Woche nach Putschbeginn in einer Art Rechenschaftsbericht gegenüber dem US-Botschafter Talbot an. Und um auch die letzten Zweifel an seiner Konsequenz zu zerstreuen, fügte er hinzu, was mit den Verhafteten geschehen könnte: »Wenn sie hingerichtet werden müssen, dann werden sie eben hingerichtet.« Die meisten aber, unter ihnen Georgios Papandreou, sein Sohn Andreas und Hunderte ihrer Anhänger sowie die Kader der Kommunistischen Partei, Gewerkschafter, Künstler und Intellektuelle wie der später verhaftete Komponist Mikis Theodorakis, verschwanden für Jahre in den Folterkellern des Militärs oder auf abgelegenen und unwirtlichen Gefängnisinseln.

Immerhin sieben Jahre konnten sich die operettenhaft gekleideten Obristen unter Ausschaltung aller Grundrechte und unter Absetzung des Königs an der Macht halten. »Der Hirte hat die Hunde nicht nur für den Fall, daß wirklich ein Dieb kommt, sondern zum Schutz der Schafherde schlechthin«, kommentierte Papadopoulos Terror und Willkür. Nicht zuletzt »dank« der Unterstützung ihrer NATO-Verbündeten und internationaler Anerkennung konnten sich die Obristen ihrer Macht sicher fühlen.

Bereits im Frühjahr 1968 hatte das US-Außenministerium gewarnt, Griechenland müsse »als funktionierendes NATO-Mitglied erhalten bleiben«. Spätestens mit dem Antritt der Präsidentschaft Richard Nixons in den USA im November des Jahres nahm die Militär- und Wirtschaftshilfe für die Junta ungeahnte Ausmaße an. Nixons wichtigster Geldgeber Tom Pappas wie auch sein griechischstämmiger Vizepräsident Spiro Agnew waren offensive Unterstützer der Putschisten in Athen.

Erst das Aufbranden neuer sozialer Konflikte in Griechenland, für die vor allem der blutig niedergeschlagene Aufstand am Athener Polytechnikum im November 1973 steht, interne Machtkämpfe, in deren Zuge Papadopoulos im Winter desselben Jahres abgesetzt wurde, und vor allem der Konflikt mit dem NATO-Partner Türkei nach dem lancierten Putsch auf Zypern ließen die Junta fast alle ihre bisherigen Unterstützer innerhalb und außerhalb des Landes verlieren. So verschwand sie schließlich im Juli 1974 ebenso schnell wie sie einst gekommen war.

Die Oligarchie und ihre exekutiven Sachwalter auf den diversen Ebenen des griechischen Staates aber behielten ihre Privilegien; dazu gehörte etwa die Steuerfreiheit für Reeder, die Duldung der Korruption oder die ausgedehnten Militäretats und Offiziersgehälter. Keine Regierung seit 1974, auch nicht die von dem einst internierten Andreas Papandreou, hat die Privilegien der Reichen angerührt, den Konflikt mit der Oligarchie riskiert. Und vieles heute, darunter die verordnete Austeritätspolitik, spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird - wenn den Linken an diesem Wochenende nicht der von Millionen erwartete Wahlsieg gelingt.

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