Wie aus Klebeband Kunst wird

Kinder und Jugendliche aus Hellersdorf gestalten eigene Wunschwelten

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Aus Papier, mit viel Farbe und Fantasie Wunschwelten gestalten: Kinder und Jugendliche aus Hellersdorf sind gerade im Ausstellungzentrum »Pyramide« sehr kreativ.

Ob der Zeittunnel wirklich etwas in einem verändert, ist nicht bewiesen. Doch nachdem einige Mädchen und Jungen den schmalen Gang, mit dem knallroten Fußboden und den verschiedenen Symbolen hinter sich gelassen haben, fühlen sie sich schon ein bisschen anders. Zumindest animiert, darüber nachzudenken, wie wohl eine Welt, ganz nach ihren eigenen Vorstellungen aussehen könnte.

»Bunt und fröhlich und es müsste viel Platz zum Träumen dabei sein«, sagt Jesica. Und genau so einen »coolen Ort« zeichnet die 15-Jährige in diesen Tagen auf eine riesige Papierbahn. Sie benutzt türkisblaue Farbe für das klare Wasser, Gelb-, Orange- und Rottöne für einen Sonnenuntergang. Der leicht geschwungene Schriftzug »Dominikanische Republik« überspannt den eintauchenden Himmelskörper. Während das Mädchen den Pinsel vorsichtig über das Papier streicht, beginnt sie zu lächeln. Sie träumt gerade davon, am Strand zu sein und dieses Naturschauspiel noch einmal zu verfolgen. »Ich war in den Ferien mit meinen Großeltern dort«, sagt Jesica.

Neben ihr bringen Valerija und Svetlana ihre Gedanken auf das weiße Papier. »Berlin - Ukrajina« zeichnen sie auf den Untergrund. »Ich lebe seit zwei Jahren in Berlin und komme aus der Ukraine«, sagt die 17-jährige Valerija. Das Kunstwerk soll ein Gruß an ihre alte Heimat sein und auch zeigen, dass sie sich an ihrem neuen Wohnort wohlfühlt.

Etwa 20 Meter lang ist die Wunschwelt-Papier-Wand insgesamt. »Mittlerweile besteht der Untergrund sogar aus sechs Lagen übereinander«, sagt Birgit Schöne. Die Bühnen- und Kostümbildnerin ermöglicht den jungen Hellersdorfern den Einstieg in andere Welten. Sie baute den Zeittunnel als Pappmaschee, stellte Figuren und Alltagsgegenstände aus zunächst farblosem Styropor in einen Raum und animierte die Schüler, aus ihren Träumen und Wünschen etwas Eigenes zu gestalten.

»Mich beeindruckt, wie unterschiedlich die Kinder und Jugendlichen an diese Aufgabe herangehen«, sagt die Künstlerin. Vor allem das großflächige Malen sei mit unheimlich viel Fantasie verbunden. Etliche Schüler würden durch das Projekt erstmalig mit Kunst in Berührung kommen. »Genau das ist auch unser Ziel«, betont die engagierte Mahlsdorferin. »Wir möchten junge Menschen an kreatives Gestalten heranführen und ihnen vermitteln, dass Kunst eine Möglichkeit ist, Gefühle, Gedanken, Wünsche und Träume auszudrücken.«

Bereits im Oktober wurde in der »Pyramide« die permanente Kunstwerkstatt eröffnet. Unter dem Titel »Flügel und Anker« entstanden große Netz-Gebilde, die überall im Erdgeschoss des Ausstellungszentrums hängen und schweben. Zehntklässler der Ernst-Haeckel-Schule entwerfen und bauen jetzt gerade durchsichtige Figuren. Die Körper und Gliedmaßen, aus denen die Fantasiegebilde bestehen, sind praktisch geklonte menschliche Teile. Dazu lassen die jungen Künstler Arme und Beine, manchmal auch den ganzen Körper, mit Klebeband umwickeln. Vier Lagen sollten es mindestens sein, die anschließend vorsichtig aufgeschnitten, abgenommen und neu verklebt werden. Tapeart nennt sich die hippe Kunstform, die Birgit Schöne ihren Schülern beibringt.

Entstanden sind auf diese Weise Riesenkäfer, Gebilde mit sechs Armen und Beinen oder andere abstrakte Formen. »Es macht Spaß, sich etwas Eigenes zu überlegen und ich finde es schön, gemeinsam mit den anderen kreativ zu sein«, sagt der 16-jährige Marces. Sina und Karina setzen derweil die Einzelteile für eine besondere Handstand-Figur zusammen. Wie die anderen Klebeband-Kunstwerke wirkt auch diese Form wie ein gläserner Körper.

Noch bis zum 30. Januar hat die Werkstatt in der Pyramide auf zwei Etagen geöffnet. Wer möchte, kann montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr, den jungen Künstlern beim Gestalten zuschauen - oder auf Anfrage auch mitmachen.

Informationen zum Projekt »Wunschwelten« an der Riesaer Straße 94, 12627 Berlin, gibt es unter www.kultur-marzahn-hellersdorf.de oder 902934132.

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