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Shoppinglawine am Bodensee

Deutsche Städte an der Schweizer Grenze werden von Einkaufstouristen überrannt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Januar hat die Schweiz ihren Franken vom Euro abgekoppelt. Für deutsche Kommunen hat das teils drastische Auswirkungen - positive wie negative. Und die Schweiz steuert auf eine Rezession zu.

Satire und Wirklichkeit sind derzeit nicht leicht zu trennen an der deutsch-schweizerischen Grenze. Dass, wie jüngst der «Basler Bote» vermeldete, Deutschland «seine Grenzen für Einkaufstouristen aus der Schweiz weitgehend geschlossen» habe und nur noch «Sonderfälle» einlasse, ist zwar eine humoristische Übertreibung. Wahr ist aber, dass etwa Konstanz tatsächlich bereits einen seiner drei Grenzübergänge zum benachbarten Kreuzlingen für Autos dichtmachen musste, weil parkplatzsuchende Massen den verwinkelten grenznahen Stadtteil ins Chaos stürzten.

Satire ist die Meldung des «Nebelspalters», nach der man im Kanton Thurgau plane, «auf dem Autobahnabschnitt Frauenfeld-Konstanz zeitweilig alle vier Fahrspuren (inklusive Gegenfahrbahnen) für die Anfahrt in Richtung Deutschland» zu öffnen. Wahr ist aber, dass die Schweizer Bahn ihre Züge zwischen Zürich und Konstanz um «zwei bis drei zusätzliche Wagen» verlängern will, weil mit extremer Nachfrage zu rechnen sei.

Dass Deutschland für die Eidgenossen ein Einkaufsparadies ist, hat traditionell zwei Gründe. Erstens wird in der Schweiz, wenngleich etwa Lidl und Aldi zuletzt Fuß fassen konnten, der Einzelhandel stark von Genossenschaftskonzernen wie «Migros» beherrscht, die hochwertige, aber auch vergleichsweise hochpreisige Ware handelt. Zweitens liegt das an den «Grünen Zetteli»: Deutsche Ladenbesitzer sind bei Kunden aus dem «Drittland» von der Umsatzsteuer befreit; Schweizer bekommen direkt im Laden eine Ausfuhrbescheinigung über ihren Rechnungsbetrag, die sie am Grenzübergang abstempeln lassen, um dann im Geschäft - meist als Bargeld - die 19 Prozent Steuer zurückzuerhalten. Und seit die Schweiz im Januar überraschend den Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro aufgab und die Währungen seither fast eins zu eins gehandelt werden, gibt es kein Halten mehr: Über Nacht wurde der Einkauf in Deutschland um noch einmal 20 Prozent günstiger.

Die Folgen zeigen sich seither zumal samstags in den Regalen grenznaher Einkaufszentren. Nachdem am ersten Wochenende nach der Blitzaufwertung noch die Ruhe vor dem Sturm herrschte, setzte bereits nach Wochenfrist der große Run auf Deutschland ein: Die in der Schweiz populäre Gratiszeitung «20 Minuten» zeigte Leserreporter«-Fotos von buchstäblich leer gekauften Regalen im Konstanzer »Lago«-Zentrum.

Auch wenn die sonst recht offenen Bürger über verstopfte Geschäfte und Straßen zu meckern beginnen, profitieren die ohnehin reichen südwestdeutschen Grenzstädte wie Konstanz oder Lörrach enorm von der Situation - wie auch etliche Orte in Österreich, etwa Dornbirn an der Mündung des Rheins in den Bodensee oder das an Liechtenstein grenzende Feldkirch. In die Röhre schauen dagegen nicht nur ohnehin eher klamme deutsche Kommunen wie etwa Gladbeck in Nordrhein-Westfalen, die sich in den Nullerjahren Kredite in Franken aufschwatzen ließen und nun ebenso über Nacht ein Fünftel mehr Schulden haben - sondern auch Schweizer Gewerbetreibende: Wer wird nun noch in der Kreuzlinger Geschäftsstraße einkaufen, die auf Schweizer Seite direkt vor dem Grenzübergang nach Konstanz liegt?

Schwerwiegende Probleme kommen auch auf den Tourismus zu: Billig war der Schweizer Schneespaß noch nie, doch nun könnten sich EU-Bürger, die einen Löwenanteil der Besucher ausmachen, nach Österreich oder Norditalien umorientieren; das Satireblatt »Nebelspalter« präsentiert bereits Exklusivmaterial von der Umsetzung des Matterhorns ins italienische Grenzgebiet. Auch die exportorientierte Feinmechanik, der Maschinenbau und die Chemie- und Pharmabranche, die für die Schweiz von großer Bedeutung sind, stehen vor erheblichen Problemen. Gerade erst hat das Züricher Konjunkturforschungsinstitut KOF seine Prognose drastisch korrigiert: Statt nahezu zwei Prozent Wachstum wird nun eine leichte Rezession erwartet.

Insofern könnten die freundschaftlich-spöttischen Kommentare, die Schweizer Internetnutzer unter dem Motto »Je suis Euro« in Richtung des geldmäßig schwächelnden »großen Kantons« Deutschland zuletzt absetzten, bald verstummen. Und zum Konstanzer Beitritt zur Eidgenossenschaft, den der »Nebelspalter« den von der Shoppinglawine getroffenen Bodenseestädtern als Ausweg nahelegte, wird es schon deshalb nicht kommen. Rechnen können die Badener nämlich ebenso gut wie die Schweizer.

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