Wo es Luther von der Stange gibt
Die Königliche Hofschneiderei zu Merseburg hat 2000 Kostüme im Fundus - für Feste, Theaterstücke, Filmdrehs
Merseburg. Ein Gastronom aus Bad Kösen bestellt 50 Gewänder für ein Ritteressen. Nicht zum ersten Mal. Eine Stadtführerin lässt sich ein prächtiges senffarbenes Kleid mit Ornamenten und Feder-Turban nähen - für stilechte Rundgänge wie im 16. Jahrhundert. Dorothee Willmy hat sie glücklich gemacht. Die Leiterin der Königlichen Hofschneiderei zu Merseburg in Sachsen-Anhalt ist die Herrin über mehr als 2000 historische Kostüme. Ein Fundus, geprägt von Authentizität und akribischer Detailverliebtheit. »Wir sind keine Flickstube und auch kein Faschingskostümverleih«, sagt die Damenschneiderin mit einem Augenzwinkern. »Wir kleiden Kaiser und Könige ein.« In den Kellerräumen des Ständehauses hängen die Kleiderhüllen von Heinrich II., Martin Luther und Kaiserin Theophanu Seite an Seite - perfekt drapiert für Feste, Umzüge, Theaterstücke und Filmdrehs. Willmy weiß genau, in welchem Raum sich wer und auf welcher Kleiderstange befindet. Ein Griff, und des Kaisers »neue« Kleider sind gefunden. Zu den glitzernden und glänzenden Gewändern gesellen sich Hüte, Perücken und Kronen sowie Schränke und Schubladen voller Knöpfe, Spitzenborten und Pailletten. Das meiste wird von Leuten aus Merseburg und Umgebung vorbeigebracht. »Ich habe in 18 Jahren noch nicht ein Stück Spitze gekauft«, erzählt die 63-Jährige.
»Ein Kostüm zu nähen, ist nicht schwer«, erklärt Willmy. »Es zu verstehen, schon.« Dabei halfen ihr am Anfang Bücher, Gemälde und Museen. Heute nutzen und schätzen Kunden in ganz Deutschland die Schneiderei mit aktuell fünf Mitarbeitern. Seit 1996 werden in der Königlichen Hofschneiderei historische Kostüme genäht. Damals noch der Stadt zugehörig, vollzog sich 2004 ein ungewöhnlicher Besitzerwechsel: Das Atelier kam in Trägerschaft des Vereins Tanzgruppe Merseburg-Meuschau. Bis heute ist das so. »Im Grunde eine wunderbare Win-Win-Situation«, sagt Sprecherin Jacqueline Franke. »Die Schneiderei hat schon immer für uns genäht.« Konzentriert heftet Sinaida Bauer einen Silberstreifen an die Taschen eines strahlend roten Herrenjacketts. Nach Maß und einem Schnittmuster hat sie den glänzenden Seidenstoff zugeschnitten. »Zwei Tage brauche ich etwa für alles«, sagt die 61 Jahre alte Herrenschneiderin, die seit 13 Jahren zum Team gehört.
Neu genäht wird heute längst nicht mehr so viel wie früher. »Das ist auch eine Preisfrage«, sagt Willmy. »Die Leute bestellen einen Trabant und wollen mit einem Mercedes rausgehen.« Dann wird sie geheimnisvoll - und zaubert den sprichwörtlichen Hasen aus dem Hut. Sie hält einen undefinierbaren, riesigen Batzen aus weißem Fleecestoff in die Höhe. Ein schweres Ungetüm. »Eine Privatperson hat das Kostüm des sprechenden Kaninchens aus ›Alice im Wunderland‹ in Auftrag gegeben.« Gerade hat sie angefangen, es zu nähen. »Das ist schon ungewöhnlich, aber kein Problem«, sagt Willmy. Es kann ja nicht immer eine Kaiserrobe sein. dpa/nd
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