»Die Kampagne der USA ist unglaubwürdig«

Calixto Ortega über den Verfall des Erdölpreises, Medienberichte über Venezuela und neue linke Kräfte in Europa

  • Lesedauer: 4 Min.
Calixto Ortega (Foto) ist als einer der Vizeaußenminister Venezuelas für Europa zuständig. Der Jurist befindet sich derzeit auf einer Rundreise durch die Europäische Union. In Berlin sprach mit ihm für »nd« Harald Neuber.

nd: Herr Vizeminister, rund 60 Prozent Inflation und eine Entwertung des Bolívar bestimmen die Lage in Venezuela. Was bedeutet das für die Bolivarische Revolution?
Ortega: Es gab eine Zeit, zu der das Erdöl mit mehr als 100 US-Dollar pro Barrel (rund 159 Liter) gehandelt wurde. Damals wurde vor allem in den USA die umweltschädliche Methode des Fracking entwickelt, um eigenes Erdöl zu produzieren. Und tatsächlich ist infolge dieser Politik der Preis gefallen. Aber auch wenn der Preis zeitweise über 100 US-Dollar pro Barrel lag, wurde unser Haushalt immer auf Basis einen angenommenen Preises von 60 US-Dollar kalkuliert.

Derzeit liegt der Preis darunter...
Das stimmt, aber der Abstand ist haushalterisch verkraftbar. Zudem haben wir internationale Reserven.

Sie gehen davon aus, dass Venezuela den bis 2016 prognostizierten niedrigen Ölpreis verkraften kann?
Absolut. Zumal der Präsident in seinem letzten Rechenschaftsbericht einen festen Wechselkurs von 6,30 Bolívares pro US-Dollar für wichtige Waren wie Nahrungsmittel oder Medikamente bekräftigt hat. Dieser künstlich niedrig gehaltene Preis hat zwar negative Nebeneffekte wie den Schmuggel in Nachbarstaaten. Aber wir stellen uns lieber diesen Problem als den Menschen den Zugang zu den genannten Produkten zu erschweren.

In Ihrer Regierung ist viel von einer Kampagne der USA gegen Venezuela die Rede. Woran machen Sie das fest?
Ich denke, dass transnationale Konzerne ein Interesse daran haben, die politischen Maßnahmen Venezuelas rückgängig zu machen und dass sie deswegen Druck auf die USA ausüben. Im Erdölgeschäft wurde in Venezuela einst gerade einmal ein Prozent Lizenzgebühr bezahlt, heute sind es 33,67 Prozent. Vormals wurden keine Steuern erhoben, nun zahlen die Konzerne 50 Prozent. Dieses Milliardenvolumen kommt heute dem Staat zugute, um die historische soziale Schuld auszugleichen. Mit Erfolg: Die UNESCO hat Venezuela für frei von Analphabetismus erklärt, die Ernährungsorganisation FAO bestätigt eine hinreichende Nahrungsmittelversorgung. Die UNO hat anerkannt, dass die Millenniumsziele weitgehend erreicht wurden. Dieser ganze Medienkrieg, diese gesamte Kampagne entbehrt also jedweder Glaubwürdigkeit.

Geht es aber nicht auch um das Unvermögen, eine Industrie im Land aufzubauen?
Ja, es gibt in Venezuela nach wie vor keine hinreichende Landwirtschaft, obwohl die Bedingungen gegeben sind. Unter Präsident Chávez wurde immerhin veranlasst, dass brachliegendes Land an Bauern vergeben wird. Der Verfall des Erdölpreises zwingt uns, diese Initiativen zu beschleunigen.

In einigen Analysen war zu lesen, dass die USA eine Annäherung an Kuba vorantreiben, um Venezuela zugleich stärker isolieren zu können. Beunruhigt Sie das?
Man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass US-Präsident Barack Obama einen mutigen Kurswechsel eingeleitet hat. Er hat das nicht aus Altruismus getan, denn die Blockade gegen Kuba ist eine historische Schande der US-Außenpolitik. Präsident Obama weiß, dass die internationale Meinung und auch die US-Bevölkerung mehrheitlich gegen die Blockadepolitik sind.

Aber könnte diese Politik die linksgerichtete Allianz der ALBA-Staaten in Lateinamerika und der Karibik nicht spalten?
Zunächst einmal beginnt dieser Prozess gerade erst. Obama wird das Resultat seiner neuen Kuba-Politik selbst im Amt nicht mehr erleben. Ich glaube aber auch nicht, dass diese Politik eine Auswirkung auf Venezuela haben wird. Venezuela und Kuba sind fest in die lateinamerikanische Gemeinschaft integriert.

Welche Rolle messen sie der EU bei und was bedeutet für Venezuela der Sieg der SYRIZA in Griechenland?
In der bilateralen Kooperation ist die EU natürlich ein wichtiger Partner. Wir sehen aber mit gewisser Sorge, dass die erwähnte Medienkampagne etwa in Spanien stark wirkt. In den führenden spanischen Zeitungen sind von Anfang Januar bis Februar 900 Seiten zu Venezuela erschienen, 95 Prozent davon negativ. Ab einem gewissen Punkt ist das einfach nicht mehr nachvollziehbar. In Spanien ist nun eine neue politische Kraft auf der Bühne erschienen ...

... die Partei Podemos.
Und jedes Mal, wenn eine neue soziale Kraft entsteht, wird sie als »chavistisch« bezeichnet. Aber schauen Sie sich Griechenland an. Der Aufstieg von SYRIZA ist doch offensichtlich eine Reaktion der Bevölkerung auf die gescheiterte Politik der Troika. Aber von bestimmten Medien heißt es dann immer wieder, es seien chavistische Kräfte. In gewisser Weise schmeichelt uns das. Es hieße ja, der Chavismus wäre weltweit präsent.

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