Orban ohne Zweidrittel-Mehrheit

Ungarns Regierungsparteien verloren seit dem Wahlsieg 2014 alle Zwischenwahlen - die nächsten sind im April

  • Gabor Kerenyi, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.
Die ungarische Regierungspartei Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) hat ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament verloren.

Die Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban und ihr Koalitionspartner, die Christdemokratische Volkspartei, müssen sich nun von ihrer verfassungsändernden Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament verabschieden. Sie war ohnehin nur durch eine ständige Umschreibung des Wahlrechts erzwungen. Doch gingen auch noch sämtliche Interimswahlen nach dem Sieg und der Verteidigung der Zweidrittelmehrheit bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 der Reihe nach verloren.

Mit der Niederlage am Sonntag in der westungarischen Stadt Veszprem war es so weit: Die Orban-Partei hat nur in 10 der 56 zu Veszprém gehörenden Wahlbezirken den Sieg errungen, und Gegenkandidat Zoltan Kesz eroberte auch die Mehrheit der umliegenden Klein- und Kleinstgemeinden für sich. In denen hatte es bislang stets rechte Mehrheiten gegeben.

Zur Wahl in Veszprem war es gekommen, weil der Fidesz-Abgeordnete dieses Wahlbezirks, Tibor Navrasics im Herbst 2014 als neuer EU-Kommissar nach Brüssel wechselte. Doch allen vorherigen Umfragen zum Trotz gewann in der rechten Hochburg nicht der Fidesz-Kandidat Lajos Nemedi, sondern der von den Linksliberalen unterstützte Unabhängige Kesz. Sein Vorsprung fiel mit 9 bis 10 Prozentpunkten überzeugend aus.

Der 41 Jahre alte und in Veszprem geborene Kesz war 2004, als Fidesz noch in der Opposition war, für kurze Zeit deren Mitglied. Als er nun zur Wahl antrat erklärte er, dass er ein »bürgerliches«, »westliches« und »wettbewerbsfähiges« Ungarn ohne Korruption und Oligarchien möchte, in dem die Menschen nicht unter dem Existenzminimum vegetieren müssen. Von der extremen Rechten hat er sich distanziert.

Umfragen zeigten schon vorab, dass Fidesz von November bis Dezember 2014, also nach der gescheiterten Einführung einer Internetsteuer und zahlreichen Fällen von massivem Korruptionsverdacht, eine Million Wähler verloren hatte. In letzten Zeit gibt es auch Zeichen einer Aushöhlung der Fidesz-Herrschaft. Es kommt zu innerparteilichen Streitigkeiten, die früher niemals an die Öffentlichkeit gelangt wären, oder überhasteten und schlicht nicht umsetzbaren Gesetzesprojekten. Zuletzt war es die Einführung eines unübersichtlichen Mautsystems am 30. Dezember 2014 mit Wirkung ab 1. Januar 2015.

Premier Orban versuchte vorausschauend, die Bedeutung der Wahl in Veszprém zu bagatellisieren. Die Zweidrittelmehrheit sei nicht mehr wichtig. Wahr ist, dass Fidesz das Grundgesetz in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr geändert hat, weil schon vor 2014 alles nach dem Geschmack der Orban-Partei umgeschrieben wurde. Außerdem hat die Partei ihre Macht außerhalb des Parlaments zu einer faktischen Alleinherrschaft ausgebaut. Auf allen wichtigen und unwichtigen Posten des öffentlichen Lebens sitzen Orbans Leute, Amtsperioden wurden teilweise lebenslänglich ausgebaut. Mit etwas Überredungskunst oder Korruption sollte es Orban gelingen, einige Parlamentarier der Rechtsradikalen oder auch der Unabhängigen für sich zu gewinnen. Im April allerdings kommt es zu zwei weiteren Zwischenwahlen in Ungarn. Danach könnte es etwas enger werden. Kommentar Seite 4

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