Bürgernähe ist kein Kriterium

Kommunen müssen vor Gericht um den Betrieb ihres eigenen Stromnetzes kämpfen

  • Miriam Bunjes, Titisee-Neustadt
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Städte und Gemeinden wollen die Netze von großen Stromkonzernen zurückkaufen - und scheitern dabei an kartellrechtlichen Vorgaben. Titisee-Neustadt lässt sich das nicht gefallen.

Armin Hinterseh sieht sich als unfreiwilliger Rebell: Der CDU-Bürgermeister aus Titisee-Neustadt will vor Gericht durchsetzen, dass seine Gemeinde ihr eigenes Stromnetz betreiben kann. Dagegen spricht eine Entscheidung des Bundeskartellamtes. Seit einigen Wochen schauen Kommunalpolitiker aller Couleur auf das Örtchen im Schwarzwald. Denn das, wogegen Armin Hinterseh rebelliert, kennen viele Kommunen.

»Wir werden derart ungerecht behandelt, nur weil wir unser eigenes Stromnetz betreiben wollen«, sagt Armin Hinterseh. »Das wollen wir nicht hinnehmen.« Das »kartellrechtliche Regime«, das sich eingebürgert habe, widerspreche dem Willen des Gesetzgebers und führe dazu, dass in der ganzen Bundesrepublik der Besitzstand der vier großen Stromkonzerne gewahrt werde.

Titisee-Neustadt führt einen Rechtstreit, in den viele Kommunen geraten, wenn sie ihr einst privatisiertes Stromnetz zurückkaufen wollen: Im baden-württembergischen Städtchen waren die Stromkonzessionen ausgelaufen - das sind Verträge über die Nutzung der Netze, die den Strom in die Haushalte verteilen. Kommunen schreiben die Konzessionen aus und vergeben sie für maximal 20 Jahre neu. »Oder eine Stadt entscheidet, das Netz selbst zu betreiben«, sagt Hinterseh. So sehe es auch das im Grundgesetz verankerte Recht auf kommunale Selbstverwaltung vor.

Schon 2011 hatte Titisee-Neustadt seinen eigenen Energieversorger gegründet: evnt. Zu 60 Prozent gehört er der Stadt, zu 30 Prozent den Elektrizitätswerken Schönau - dem aus einer Bürgerinitiative entstandenen Ökostromanbieter im Nachbarort - und zu zehn Prozent einer Bürgergenossenschaft. evnt bekam die Konzession, kaufte das Stromnetz vom Altkonzessionär Energiedienst und betreibt es seit 2012.

Das Bundeskartellamt leitete daraufhin ein Verfahren gegen die Stadt ein und entschied Ende Januar: Bei Ausschreibung und Vergabe habe Titisee-Neustadt missbräuchlich gehandelt. Das Auswahlverfahren sei diskriminierend gewesen. Die Kriterien bezeichneten die Kartellwächter als »unzulässig und rechtswidrig«. Die Stadt soll das Stromnetz ausschreiben. »Im Sinne aller Verbraucher sollten Gemeinden für den Betrieb der Netze den Anbieter auswählen, der das beste Angebot macht«, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Das »beste Angebot« sei rein ökonomisch zu interpretieren, Kriterien wie Bürgernähe zählten nicht. Noch vor dem Urteil des Kartellamts hatte Hinterseh Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht: »Wir müssen jetzt natürlich neu ausschreiben, obwohl eine Reaktion der Verfassungsrichter noch aussteht.« Sonst drohe ein Bußgeld.

Sein Anwalt Dominik Kupfer rechnet sich jedoch gute Chancen aus. In Deutschland habe sich ein Gewohnheitsrecht etabliert, das einen rein marktwirtschaftlichen Wettbewerb bevorzuge und demokratische Kriterien wie Mitbestimmung oder lokale Vorteile wie Arbeitsplätze vor Ort nicht gelten lasse, sagt der Freiburger Rechtsanwalt. Das sei nicht im Sinne der Gesetzgebung.

Auch Oliver Wagner und Kurt Berlo vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie sehen die Rekommunalisierung des Stroms durch die Rechtssprechung ausgebremst. Seit 2005 sind nach ihren Studien 72 neue Stadtwerke gegründet worden und 200 Stromnetze kommunal geworden, bis 2016 laufen noch 2000 Konzessionen aus. »Dieser Trend liegt jedoch auf Eis, weil bei jeder nicht-freundlichen Übernahme durch die Kommunen jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit tendenziell schlechtem Ende drohen«, sagt Wagner.

Für ihn ist das eine klare Benachteiligung der Kommunen: »Rein marktwirtschaftlich so effizient wie die vier großen Stromkonzerne kann eine Gemeinde ja nicht sein.« Ein kommunales Netz habe jedoch unter dem Strich Vorteile für die Bürger: »Anders als rein am Gewinn orientierte Unternehmen können mit den Einnahmen gezielt lokale Projekte und Arbeitsplätze gestützt werden.«

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