Zum Siegen verdammt

Folge 57 der nd-Serie »Ostkurve«: Die eigenen Ansprüche könnten RB Leipzig zum Verhängnis werden

Angst, dass mit Erfolgen und Euphorie auch das Anspruchsdenken in Leipzig wächst, hat RB-Sportdirektor Ralf Rangnick nicht. Sein Motto: Erfolg, koste es, was es wolle.

Schnell geht es im Fußball, in Leipzig noch etwas schneller. Am kommenden Montag ist die Zukunft schon Gegenwart für die RasenBaller. Zumindest, wenn man Ralf Rangnick glauben will. »Karlsruhe heißt unsere Zukunft«, versuchte der RB-Sportdirektor am Mittwochabend herkömmliche Fußballweisheiten zu bemühen. Natürlich ist auch für RasenBallsport das nächste Spiel das schwerste. Immerhin müssen die Leipziger auch beim Zweitligavierten KSC antreten, der in bislang 23 Saisonspielen sechs Punkte mehr erspielt hat als der Achte RB. Vielleicht kommt sogar noch erschwerend hinzu, dass der mit fünfeinhalb Jahren noch sehr junge Verein gerade einen Höhepunkt erlebt hat. Seit dem Sommer 2010 spielt RB Leipzig im ehemaligen Zentralstadion. Am Mittwochabend war die modernisierte Arena im Achtelfinalspiel des DFB-Pokals mit 43 348 Zuschauern erstmals ausverkauft. Für Rangnick war es ein »Meilenstein in unserer Vereinsgeschichte.«

Auch der Gegner war ein besonderer - noch. Denn lieber heute als morgen will sich Ralf Rangnick mit Klubs wie dem VfL Wolfsburg jedes Wochenende messen. Seine Ungeduld konnte der 56-Jährige am Mittwochabend nicht verbergen. Nach dem 0:2 gegen den Tabellenzweiten der 1. Bundesliga lobte er nicht die durchaus gute Vorstellung seiner Zweitligafußballer. Nein, Rangnick war unzufrieden und kritisierte sogar einzelne Spieler: »Anthony Jung hat mir heute überhaupt nicht gefallen.«

Ralf Rangnick denkt nicht in herkömmlichen Kategorien. Sonst hätte es ihn nicht vor dreieinhalb Jahren ins Red-Bull-Imperium gezogen. Und in Leipzig will er den ganz schnellen Erfolg, koste es, was es wolle. Dies gilt im doppelten Sinne, zuerst ganz vordergründig im monetären. In die Winterpause gingen die Leipziger als Tabellensiebter, mit acht Punkten Rückstand zu den Aufstiegsplätzen. Entgegen den Gesetzen des Transfermarktes, wonach eine gezielte und sinnvolle Verstärkung einer Mannschaft im Winter eher schwierig ist, verpflichtete RB gleich vier neue Spieler. Yordy Reyna und Rodnei kamen von der Red-Bull-Filliale aus Salzburg nach Leipzig. Für Emil Forsberg und Omer Damari machte Rangnick 10,7 Millionen Euro locker.

Auch im Winter kann man gute Geschäfte im Fußball machen. Es ist nur eine Frage des Preises. Forsberg war in der ersten Halbzeit gegen Wolfsburg einer der besten Spieler auf dem Platz. Damari überzeugte am vergangenen Sonntag beim ersten Ligasieg seit fünf Spielen - RB gewann 3:2 gegen den 1. FC Union Berlin. Sowohl der schwedische Nationalstürmer Forsberg, als auch der israelische Damari sind spürbare Verstärkungen. Die 10,7 Millionen Euro, die beide zusammen gekostet haben, machten 85 Prozent der Gesamtsumme der Wintertransfers aller Zweitligisten aus.

Nur zwei Erstligisten gaben in der Winterpause mehr Geld als Leipzig aus: Dortmund und Pokalgegner Wolfsburg. Die Borussia holte für zwölf Millionen Euro Kevin Kampl. Dieser Transfer zeigt, dass RB zum Siegen verdammt ist. Denn der slowenische Nationalspieler kam aus Slazburg, konnte wegen mangelnder Perspektive aber nicht im Bullenstall gehalten werden. Finanziell hätte Leipzig den Dortmundern durchaus Paroli bieten können. Aber die Anziehungskraft eines Zweitligisten, dessen schneller Aufstieg keineswegs sicher ist, war zu gering. Gleiches gilt für Mittelfeldspieler Joshua Kimmich. Der 20-Jährige hat sich entschieden, im kommenden Sommer nach München zum FC Bayern zu wechseln. Beim gleichaltrigen dänischen Nationalstürmer Yussuf Poulsen stehen namhafte Interessenten Schlange.

Dem VfL Wolfsburg war Weltmeister André Schürrle im Winter gar 30 Millionen Euro wert. Das Pokalspiel wurde medienübergreifend als »Duell der Zukunft« ausgerufen. Denn die Wolfsburger mit dem Geld von VW und die Leipziger mit dem Geld von Red Bull gelten den meisten mittelfristig als die ernsthaftesten Konkurrenten für den derzeit übermächtigen FC Bayern München. Ralf Rangnick zog die Augenbrauen hoch und legte die Stirn in Falten. »Ob Wolfsburg die Zukunft ist, weiß ich nicht«, sagte er am Mittwochabend. Der VfL sei als Bundesligazweiter zumindest die Gegenwart. In seinen Worten schwang noch immer die Enttäuschung über die Niederlage mit. Aber auch der Zweifel, ob Wolfsburg wirklich die Zukunft des deutschen Fußballs ist. Und letztlich der Wille, eben selbst die Zukunft sein zu wollen.

Diesen Quervergleich hatte Rangnick schon vor dem Spiel gezogen und sprach dabei von Attraktivität. »Ich bin mir sicher, dass das Pokalspiel in Wolfsburg nicht ausverkauft gewesen wäre, wenn es dort stattgefunden hätte. Ich bin auch überzeugt, dass Leipzig, was Auswärtsspiele angeht, nach Schalke und Dortmund wahrscheinlich die größte Zahl an Fans mitbringen würde.« Die Genugtuung über das erstmals ausverkaufte Stadion und die Atmosphäre war allen Leipzigern anzusehen. Die RB-Fans sangen noch lange nach dem Schlusspfiff. Mittelfeldspieler Dominik Kaiser sagte: »Es tut sehr gut, solch eine große Unterstützung zu spüren.« Man kann es ihm nicht verdenken, bekommen er und seine Mitspieler sonst jedes Wochenende Kritik und Anfeindungen von den gegnerischen Fans zu hören. In einem Spiel gegen den VfL Wolfsburg war das aber auch nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

Für Ralf Rangnick war das Pokalspiel ein Beweis, »dass die Fußballeuphorie in Leipzig weiter wächst.« Dagegen ist nichts zu sagen. Mit einem Zuschauerschnitt von 25 541 liegt RB in der 2. Bundesliga auch auf Platz vier. Die Leipziger wollten nach einer jahrelangen Durststrecke erfolgreichen Fußball, Red Bull bietet ihn. Und das in Leipzig eben sehr viel schneller als anderswo. In nur vier Jahren ging es von der Oberliga in die 2. Bundesliga. Und Falls RB in dieser Saison erneut aufsteigen sollte, hätte der Klub einen Platz in den Annalen des deutschen Fußballs schon sicher: Einen Durchmarsch von der vierten bis in die erste Liga gab es noch nie.

Angst, dass mit den Erfolgen und der Euphorie auch das Anspruchsdenken wächst, hat Ralf Rangnick nicht. Denn nach seinen Plänen ist da noch viel Luft nach oben. Es soll nicht nur schnellstmöglich in Richtung erste Liga gehen, sondern »dort auch ins obere Drittel«. Und: »Dietrich Mateschitz hat gesagt, er möchte nicht erst 80 sein, wenn RB Leipzig Deutscher Meister wird.« Der Gründer des Red-Bull-Imperiums ist jetzt 71. Rangnick scheint gedanklich der ersten Liga schon jetzt sehr viel näher als der zweiten. Am Mittwochabend sprach er auch über das Umfeld bei RB: »Alles ist erstklassig, es fehlt an nichts.« Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schwärmt. »In Leipzig entsteht etwas Großes mit Nachhaltigkeit«, lobte DFB-Vizepräsident Hans-Dieter Drewitz im November, als er dem Klub und seinen Ausbildungspartnern das Zertifikat »Eliteschule des Fußballs« verlieh. Die A-Jugend und B-Jugend spielt in der 1. Bundesliga schon ganz oben mit.

Dass die Zukunft von RB Leipzig also Karlsruhe heißen soll, gilt nur für die Mannschaft und den Trainer. Und das ist die Kehrseite von Rangnicks Motto: Erfolg, koste es, was es wolle. Nachdem Trainer Alexander Zorniger nach zwei Punkteteilungen vor der Winterpause 2015 mit einer Niederlage gestartet war, zog Rangnick ganz schnell die Reißleine. Der beliebte Aufstiegstrainer musste gehen. Offiziell wurden unterschiedliche Auffassungen von der Weiterentwicklung der Mannschaft als Trennungsgrund kommuniziert. Das mag tatsächlich auch ein Detail der Geschichte gewesen sein. Aber dass Rangnick die Chance auf den schnellen Aufstieg trotz des einen oder anderen Dementis wahren wollte, dürfte ebenso eine Rolle gespielt haben. Noch bevor die Leipziger gegen den 1. FC Union Berlin gewonnen hatten, rechnete der Sportdirektor vor: »Wir haben noch zwölf Spiele, wenn wir zehn gewinnen steigen wir auf.« Spielern wir Rekordtorschütze Daniel Frahn geht es ähnlich wie dem Trainer. Werden sie den Ansprüchen nicht mehr gerecht, kommen eben zwei Neue.

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