Die Krise, das Morden

Declan Burke: Mit »Absolute Zero Cool« gelang dem irischen Autor eine Hommage an Flann O’Brien

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Was passiert eigentlich, wenn eine Romanfigur mit der ihr zugedachten Rolle unzufrieden ist? Sie beschwert sich heftig beim Autor, der sie erfunden hat, und setzt ihm so lange zu, bis Abhilfe geschaffen ist. So funktioniert das jedenfalls in der irischen Literatur. Das gab es schon 1939 in Flann O’Briens legendärem Buch »In Schwimmen- zwei-Vögel« und auch in dem gerade erschienenen Roman »Absolute Zero Cool« von Declan Burke setzt sich eine Romanfigur gegen ihren »Erzeuger« zur Wehr.

Das literarische Verwirrspiel des 1969 in der irischen Provinz geborenen und lebenden Autors ist formal eindeutig eine Hommage an Flann O’Brien, einen der wichtigsten Schriftsteller Irlands, und an »In Schwimmen-zwei-Vögel«, der einer der Lieblingsromane von James Joyce gewesen sein soll. Aber Burke, der auch den Krimiblog »Crime always pays« betreibt, verhandelt in »Absolute Zero Cool« ganz aktuelle Themen: Es geht um die Krise, prekäre Arbeitsverhältnisse und Terrorismus.

Dramaturgischer Dreh- und Angelpunkt dieses Romans ist das Zwiegespräch eines namenlosen Schriftstellers mit seiner Figur Billy Karlsson. Der arbeitet als Hilfskraft in einem Krankenhaus, steht unter Verdacht, einsame Patienten zu ermorden und schreibt nebenher einen pornographischen Roman, in dem er die Beziehung zu seiner Freundin verarbeitet. Nur will Billy die ihm zugedachte Rolle des soziopathischen Verlierers nicht mehr weiter akzeptieren und redet dem Schriftsteller, sozusagen seinem Schöpfer, ins Gewissen, den Roman umzuschreiben.

Der Schriftsteller wiederum lebt ganz idyllisch mit Frau und Kind in einer Künstlerkolonie in der irischen Provinz, ist gerade erst Vater geworden und leider unter einer Schreibblockade. Billy Karlsson ist in übertragenem Sinn quasi sein eigenes Manuskript, das zu ihm »spricht« und ihn ermahnt, endlich überarbeitet, fertiggestellt und vor allem veröffentlicht zu werden.

Billy Karlsson steht auf der sozialen Stufenleiter ganz unten. Die Wirtschaftskrise bildet das immer wieder auftauchende Hintergrundrauschen des Romans. Der unsympathische Anti-Held Billy sieht sich derweil an seinem Arbeitsplatz einem immer stärker werdenden autoritären Druck ausgesetzt - egal ob ihn die Oberschwester ermahnt, seine Kollegen entlassen werden oder der Chef ihm das Rauchen am Parkplatz abgewöhnen will.

Doch Billy bleibt stur, eckt in einem fort an und legt sich mit seinem Vorgesetzten an, den er schließlich sogar erpresst. Darüber hinaus führt er lange Gespräche mit den Patienten und philosophiert über das Thema Euthanasie vor sich hin. Denn auch wenn seiner Meinung nach »Krankenhäuser als innovativer Schritt auf dem Pfad zum universellen Mitgefühl« fungieren, sieht er »solche Institutionen als Orte an, die am besten dazu geeignet sind, wertlose Unbeteiligte mit einer einzigen Sprengladung auszulöschen.«

Die fixe Obsession des Mordens, um sich an der Umwelt abzureagieren, zieht sich als roter Faden durch den gesamten Roman. Die Vorstellung, das Krankenhausgebäude in die Luft zu sprengen - als Verweis auf 9/11 als den im heutigen kollektiven Gedächtnis wirkmächtigsten Terroranschlag - um sich damit für die eigene soziale Erniedrigung zu rächen und die Welt neu zusammenzusetzen, ist als Drohung die ganze Zeit präsent. Declan Burke spielt mit diesem Schrecken des Terrors, der in seinem Buch eine klar anti-emanzipatorische Funktion erfüllt und die sozialdarwinistische Haltung seines widerlichen, latent faschistischen Anti-Helden auf die Spitze treibt.

Dem Schriftsteller im Buch droht schließlich, seine Figur, der Roman und das eigene Leben zu entgleiten. Declan Burke verschränkt Fiktion und Realität sehr geschickt miteinander. Am Ende gibt es den fulminanten Show-Down, der sich den ganzen Roman über schon ankündigte.

Declan Burke: Absolute Zero Cool. Roman. Aus dem irischen Englisch von Robert Brack. Edition Nautilus, 320 S., br., 18 €.

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