Jobkiller Freihandel

Experten teilen Befürchtungen über TTIP-Abkommen der Europäischen Linken bei Konferenz in Brüssel

  • Hanna Penzer, Brüssel
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Verhandlungen zwischen EU und USA zu dem umstrittenen Handelsabkommen TTIP laufen. Eine Konferenz der Linksfraktion im EU-Parlament sinnierte über potenzielle Folgen des Projekts.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will das Handelsabkommen TTIP noch in diesem Jahr abschließen. Sie gehört wie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu den entschiedenen Befürwortern des umstrittenen Handelsprojekts. Sie führen beeindruckende Zahlen ins Feld. So soll das Einkommen eines durchschnittlichen EU-Privathaushalts durch den TTIP-Effekt um über 500 Euro pro Jahr steigen. Die Kommission beruft sich dabei auf die Folgenabschätzung eines Londoner Think Tanks. Ein von der Bertelsmann-Stiftung beim ifo-Institut in Auftrag gegebenes Gutachten verspricht den am TTIP beteiligten Ländern gar Exportzuwächse bis zu 76 Prozent.

Der Optimismus von Merkel und Co. wird von der europäischen Linken nicht geteilt. Bei der Konferenz der Linksfraktion im EU-Parlament wurden Prognosen angeführt, die ganz und gar nicht in das rosige Bild der regierungsnahen Institute passen. Da im transatlantischen Handel inzwischen kaum noch Zölle erhoben würden, fiele deren Wegfall praktisch nicht ins Gewicht. Ins Zentrum seiner Untersuchungen stellte der nach Brüssel geladene Ökonom Jeronim Capaldo deshalb die Verschärfung des Wettbewerbs- und Kostendrucks, der Europa durch das Freihandelsprojekt drohe. Um mit niedrigen Arbeitskosten der US-Konkurrenten mithalten zu können, müssten Unternehmen in Europa massive Lohnkürzungen vornehmen.

Damit nicht genug: Verteilt über mehrere Jahre sagt Capaldo der EU den Verlust von etwa 600 000 Jobs voraus. Ein Einbruch, der die Arbeitsplatzverluste der Krisenjahre 2010/2011 noch übertreffen würde. Mit den heftigsten Einschnitten müssen demnach Arbeitnehmer in Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland rechnen.

Dieser massive Einbruch der Kaufkraft werde Investoren erneut zu spekulativen Finanz- und Immobiliengeschäften verleiten. »Es ist nicht unwahrscheinlich, dass TTIP die nächste große Finanzkrise verursacht«, prognostizierte die Finanzexpertin Myriam Vander Stichele.

Die EU-Kommission kann die Kritik an den TTIP-Verhandlungen nicht ignorieren. Zur Konferenz ins Europäische Parlament schickte sie eine hochkarätige Besetzung. Doch die Vertreter hatten der Kritik wenig entgegenzusetzen und flüchteten sich in Allgemeinplätze.

Helmut Scholz, Europaabgeordneter der Linken und Verhandlungsführer seiner Fraktion zum Thema, unterstrich zu Beginn der fünften TTIP-Konferenz seiner Fraktion die Bedeutung einer breiten Debatte zum Mega-Projekt »Wirtschafts-NATO«. Es sei notwendig, Bürger in die Lage zu versetzen, die gängigen Wachstums- und Beschäftigungsversprechen hinterfragen und mit eigenen Erwartungen abgleichen zu können. Das scheint bitter nötig zu sein. Während Merkel und Gabriel sich spätestens seit letzter Woche nicht länger bemühen, ihre Unterstützung für TTIP zu relativieren, offenbarte die Debatte am Donnerstag weit mehr als nur wissenschaftliche Schwachstellen im Lager der Verhandlungsbefürworter, die in ihrer heilen Welt Vollbeschäftigung bereits voraussetzen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal