Moskau kündigt Waffenvertrag

Aber weiter Interesse an Kontrolle konventioneller Rüstung / NATO feilt an »Speerspitze«

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Während die NATO am Mittwoch über die Schärfung ihrer neuen »Speerspitze« gegen Russland informierte, stieg Moskau endgültig aus dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa aus.

War das der endgültige Todesstoß? Am Dienstagabend ließ Moskaus Außenministerium wissen, dass Russland einen Tag später vollständig aus dem Vertrag über die Begrenzung Konventioneller Streitkräfte in Europa (KSE) aussteigen werde. Schon 2007 hatte man ihn ausgesetzt. Das im November 1990 von 22 Staaten der NATO und des Warschauer Vertrags unterzeichnete Abkommen sollte ein Gleichgewicht bei Panzern, Geschützen, Flugzeugen und Hubschraubern garantieren und Überraschungsangriffe unmöglich machen. Deshalb schreibt er auch die gegenseitige Information über die Stationierung von Waffen und Truppen vor.

Im November 1999 erfolgte in Istanbul eine überfällige Anpassung an die neuen Gegebenheiten: die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Vertrages sowie die NATO-Osterweiterung, die die einstigen Verbündeten Polen, Tschechien und Ungarn in den Nordatlantik-Pakt integrierte. Die alte Variante hatte Russland erhebliche Beschränkungen auferlegt, sogar für Truppenbewegungen im eigenen Land. In der neuen sollten die Obergrenzen nicht mehr für zwei Bündnisse, sondern für bestimmte Staaten und geografische Gebiete gelten.

Nur wurde dieser angepasste Vertrag zwar von Russland, Belarus, Kasachstan und der Ukraine ratifiziert, nicht aber von den NATO-Staaten. Sie begründeten ihre Verweigerung mit der fortgesetzten Präsenz russischer Truppen in Georgien und Moldova. Als Moskau im Dezember 2007 den Vertrag suspendierte, war die NATO mit der Aufnahme von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien weiter an die russischen Grenze vorgerückt. Auch über den Beitritt der Ukraine und Georgiens wurde vor allem in Washington nachgedacht. Und mit den US-Plänen für eine Raketenabwehr mit Stationierungen in Polen und Tschechien wuchs die Besorgnis des Kremls mit Blick auf das strategische Gleichgewicht.

Statt wie versprochen den NATO-Russland-Rat zum Gremium gemeinsamer Sicherheitsentscheidungen aufzuwerten, scheiterten die Bemühungen um den KSE-Vertrag immer wieder, weil der Westen Vorleistungen von Russland forderte. Auch die Hoffnungen Moskaus auf Präsident Barack Obama erwiesen sich als trügerisch. »Wenn der Westen den Vertrag nicht anpassen will, ist es völlig logisch auszusteigen«, betonte Verteidigungspolitiker Viktor Oserow aus Russlands Föderationsrat. Belarus erklärte sich bereit, Russlands Interessen im KSE-Vertrag zu vertreten.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte Moskaus Entscheidung. Für die Allianz sei die Vereinbarung wichtig. Was er vergaß zu erwähnen: Im November 2011 hatten 15 NATO-Staaten mitgeteilt, sie wollten Moskau künftig nicht mehr über ihre konventionelle Rüstung informieren. Inzwischen feilt die Allianz an einer »Speerspitze« genannten »superschnellen« Eingreiftruppe. Sie ist Kern des neuen Abschreckungskonzepts der NATO, das man vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise mit Stoßrichtung Russland entwickelt hat. Die Truppe soll aus mindestens 5000 Soldaten bestehen, die innerhalb von zwei bis sieben Tagen verlegt werden können - etwa in die baltischen Staaten, die sich besonders von Moskau bedroht fühlen. Stoltenberg stellte am Mittwoch Details zu den Übungsplänen der Truppe vor, für die in diesem Jahr die Bundeswehr den Großteil der Soldaten stellt. Sie soll vom 7. April an zum ersten Mal eine Alarmierung trainieren. Im Juni gibt es dann erstmals ein Manöver mit Verlegung der »Speerspitze« nach Polen.

Der Austritt aus dem KSE-Vertrag sei »keine Reaktion auf jüngste Aktionen des Westens« im Zuge des Ukraine-Konflikts, sagte Michail Uljanow, Direktor für Rüstungskontrolle im Moskauer Außenministerium, am Mittwoch der Agentur TASS. Man sei »grundsätzlich« davon überzeugt, dass »die Kontrolle über Waffen in Europa nützlich sein kann« und bereit, »maßgebliche Gespräche über ein neues Abkommen zu führen, das den neuen Realitäten gerecht wird«. Allerdings könne man bei der NATO keine Bereitschaft zu einem solchen Dialog erkennen. Russland jedenfalls wolle nicht der »Totengräber« dieses Systems zur Rüstungskontrolle sein.

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