Derbyzeit, schöne Zeit

Es soll ja Kollegen geben, die ein Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und Hoffenheim ein »Derby« nennen. Doch das ist natürlich Unsinn, zu einem staatlich geprüften Derby gehört weit mehr als eine geographische Nähe. Zu spüren war das am Sonntag im Karlsruher Wildpark, wo selbst die Bäume vom Derbyfieber angesteckt zu sein schienen.

Derby. Tolle Sache. Und eigentlich ja auch ganz leicht zu definieren. So leicht, dass man, um die Weihen der Wissenschaft als Krücke zu nutzen, in diesem Fall sogar einmal »Wikipedia« zitieren kann – zugegebenermaßen auch weil der Griff zum »Brockhaus« auf dem obersten Brett des Bücherregales einen nur wieder daran erinnern würde, dass man doch mal wieder Staub wischen könnte.

Also, ein Derby

»...bezeichnet eine Austragung im Mannschaftssport, bei der zwei meist rivalisierende Sportvereine einer Region aufeinandertreffen. Für die Fans der betroffenen Vereine haben solche Ereignisse häufig eine hohe symbolische Bedeutung.«

So ist es. Und deswegen spricht man von einem Derby, wenn Schalke gegen Dortmund spielt, Celtic gegen die Rangers, St. Pauli gegen den HSV oder Frankfurt gegen Offenbach. Man spricht hingegen nicht von einem Derby, wenn Hoffenheim gegen Stuttgart spielt, Wehen-Wiesbaden gegen den FSV Frankfurt oder RB Leipzig gegen Dynamo Dresden. Der FSV Frankfurt – ein Lob, das ausdrücklich den kickenden Simulanten Grifo ausnimmt – ist ein so liebenswerter Verein, dass er selbst von Eintracht-Fans in Ehren gehalten wird, die gut 20 Prozent des FSV-Publikums ausmachen dürften. Hoffenheim und RB ... nun ja ... ihnen fehlt halt ... nun, das auszuführen, würde den Rahmen einer Kolumne sprengen.

Fassen wir es mal so: Da beide noch so blutjunge Gebilde sind, fehlen in ihrer Anhängerschaft die altersgebeugten Schiebermützen-Rentner, alten Haudegen und Schwarz-Weiß-Dauerkarten-Sammler, die in Mannheim oder Gelsenkirchen stundenlang erzählen könnten, warum der FCK schon 1964 und der BVB schon 1972 großer Mist waren. Und dass sich Schlechtigkeit selbstverständlich auch auf die Kindeskinder überträgt. Ein Derby braucht also eine Geschichte.

Nun mag das alles verstaubt klingen und wer auf der Suche nach einem Master-Arbeitsthema, das noch keiner in den Finger hatte, einmal die Parallelen zwischen Sport – und Erster-Weltkriegs-Rhetorik untersuchen möchte, fände sicher ein weites Feld.

Und dennoch: wer am Sonntag im gewohnten Scheiße-dass-ich-Idiot-am-Wochenende-arbeiten-muss-Modus zum Karlsruher Wildparkstadion fuhr, kam schnell aus der Routine heraus. Dass das ein besonderes Spiel war, merkte man von der ersten Minute an. Im Großen und Ganzen. Und in jedem kleinen Detail. An den Spielern, die jeden Zweikampf führten als wäre es der letzte, an den Zuschauern, die noch mal viele Dezibel drauf legten, ja selbst – doch das mag Autosuggestion gewesen sein – an den Bäumen, deren Äste geradezu aktionistisch hin- und her zu schwanken schienen.
Ein solches Spiel darf dann gerne auch mal 0:0 ausgehen, weil ein Spieler in rot mit 200 km/h an die Latte schießt, während einer in blau in der Nachspielzeit mit 100km/h aufs Tor köpft, dort aber nur den Keeper touchiert.

Kurzum: So ein Derby ist eine schöne Sache. Und so ganz nebenbei eine kleine Genugtuung für die gepeinigten Fanseelen aus Lautern und Karlsruhe. Es stimmt ja, dass 1899 Hoffenheim wohl auf absehbare Zeit besser abschneiden wird als der FCK und der KSC.

Doch in den Genuss eines Derbys wird der Verein, der zu Auswärtsfahrten nach Stuttgart (60 Kilometer) etwa 1000 Fans mobilisiert, wohl erst um das Jahr 2047 herum kommen. Erst dann wird es Opas geben, die erzählen können, dass sie schon als Teenager zur TSG gegangen sind.

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