Freie Fahrt zum Terrortraining?

Niedersachsens Polizei weist Vorwürfe von sich

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Gern präsentiert sich Wolfsburg als Sitz des Volkswagen-Konzerns und Heimat eines erfolgreichen Fußballvereins. Verzichten dagegen würde Niedersachsens fünftgrößte Stadt lieber auf ein Attribut das ihr seit einigen Jahren anhängt: Salafisten-Hochburg. Ein Terminus, der dieser Tage wieder vermehrt zu hören ist, seit Medien berichten: Anhänger jener militant-islamistischen Strömung seien von Wolfsburg aus nach Syrien gereist, um sich der Terrororganisation »Islamistischer Staat« (IS) anzuschließen. Die Polizei habe diese Reisen trotz konkreter Warnungen nicht verhindert.

So lässt sich das Ergebnis der gemeinsamen Recherchen zusammenfassen, mit denen NDR und WDR sowie die Süddeutsche Zeitung jetzt an die Öffentlichkeit getreten sind. Und das inzwischen und die Landespolitik beschäftigt. Danach hat es das Landeskriminalamt (LKA) versäumt, die Reisepässe der Islamisten einziehen zu lassen. Dies ist möglich, sobald der Verdacht besteht, dass sich jemand im Ausland in einer terroristischen Vereinigung betätigen will.

Auch soll die Polizei im April 2014 die Bitte eines Wolfsburgers ignoriert haben, sie möge den Pass seines Bruders beschlagnahmen, denn: Dieser wolle im Ausland in den Reihen radikaler Islamisten kämpfen. Der Bruder, so die Rechercheure, habe dann ungehindert in einer Gruppe von Gleichgesinnten sein Ziel erreicht.

Insgesamt 15 Wolfsburger sollen inzwischen ins Kriegsgebiet Syrien/Irak gereist sein und dort ein Trainingscamp des IS durchlaufen haben. Nach aktuellen Informationen seien drei von ihnen bereits ums Leben gekommen, einer durch einen Selbstmordanschlag. Ein anderer Ausgereister sei nach Deutschland zurück gekehrt. Nach seinem Eintreffen, so ein weiterer Vorwurf der Medien, habe es das niedersächsische LKA versäumt, den Mann sogleich zu vernehmen und seine Wohnung zu durchsuchen.

Entschieden weist das Landeskriminalamt alle Vorwürfe zurück. In den »dargestellten Fällen« hätten keine »konkreten und verwertbaren Informationen« vorgelegen, die »polizeiliches Handeln« gerechtfertigt hätten. Ob es mit diesem Handeln den Einzug der Reisepässe meint, schreibt das LKA nicht. Auch vermeidet es jeglichen Hinweis zu den ausgereisten Männern, etwa zu der Frage, ob sie den Behörden als potenziell gewaltbereite Dschihadisten bekannt sind. Kryptisch bescheidet das Amt, es gebe »eine Vielzahl von Ermittlungen«, aber um diese nicht zu gefährden, könnten »keine Detaillierten Angaben zu Personen« gemacht werden.

Die schwarz-gelbe Opposition im Landtag wertet die Recherchen der Medien als Zeichen dafür, dass SPD und Grüne auf der Regierungsbank »die islamistische Bedrohung noch immer nicht ernst nehmen«. Auf Bundesebene werde bereits über ein Gesetz zur Ausweitung des Passentzuges beraten, erinnert die innenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Angelika Jahns. »Aber in Niedersachsen werden offensichtlich noch nicht einmal die bestehenden Regelungen umgesetzt, um die Ausreise von Dschihadisten zu verhindern.« Dazu möge sich nun das Innenministerium im Fachausschuss des Parlaments äußern, fordert die Union.

Bislang hat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) zu den Vorwürfen keine Stellung bezogen. Und das sei wohl auch nicht zu erwarten, erklärte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber »nd«, denn: »Das ist eine Sache des LKA.«

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